Kollaps
Ölkonzernen hat mir von manchen Umweltschützern vernichtende Urteile eingebracht; von ihnen höre ich Formulierungen wie »Diamond hat sich an die Konzerne verkauft«, »er liegt mit der Großindustrie im Bett« oder »er prostituiert sich für die Ölfirmen«.
In Wirklichkeit stehe ich bei keinem Großunternehmen auf der Gehaltsliste, und ich beschreibe selbst dann, wenn ich bei ihnen zu Gast war, ganz offen die Vorgänge in ihrem Einflussbereich. In manchen Gebieten habe ich miterlebt, wie Öl- und Holzkonzerne große Zerstörungen angerichtet haben, und das habe ich dann auch deutlich gesagt; anderswo habe ich gesehen, dass sie vorsichtig waren, und dann habe ich auch das gesagt. Nach meiner Ansicht werden die Umweltprobleme der Welt nicht zu lösen sein, wenn die Umweltschützer nicht bereit sind, sich mit den Großkonzernen einzulassen, denn die gehören zu den mächtigsten Institutionen überhaupt. Deshalb schreibe ich dieses Buch aus der Sicht eines mittleren Standpunktes, vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit Umweltproblemen wie auch mit der wirtschaftlichen Realität.
Wie kann man den Zusammenbruch von Gesellschaften »wissenschaftlich« untersuchen? Wissenschaft ist einer verbreiteten falschen Darstellung zufolge »das Wissen, das durch wiederholbare, kontrollierte Laborexperimente gewonnen wurde«. In Wirklichkeit ist sie etwas viel Umfassenderes: der Erwerb zuverlässiger Kenntnisse über die Welt. Auf manchen Gebieten, beispielsweise in der Chemie oder Molekularbiologie, sind wiederholbare, kontrollierte Laborexperimente möglich und das bei weitem zuverlässigste Mittel, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Meine offizielle Ausbildung spielte sich auf zwei solchen Teilgebieten der »Laborbiologie« ab: Mein erstes Examen machte ich in Biochemie, meinen Doktor dann in Physiologie. Von 1955 bis 2002 betrieb ich experimentelle physiologische Forschung im Labor, zunächst an der Harvard University und später an der University of California in Los Angeles.
Als ich 1964 anfing, im Regenwald von Neuguinea die Vögel zu beobachten, stand ich sofort vor einem Problem: Wie sollte ich zuverlässige Erkenntnisse gewinnen, ohne dass ich auf wiederholbare, kontrollierte Labor- oder Freilandexperimente zurückgreifen konnte? In der Regel ist es weder praktikabel noch juristisch oder ethisch vertretbar, Kenntnisse über Vögel zu gewinnen, indem man ihre Bestände an einer Stelle ausrottet oder beeinträchtigt, während man sie an einem anderen Ort zur Kontrolle unbehelligt lässt. Ich musste anders vorgehen. Ähnliche methodische Probleme ergeben sich in anderen Bereichen der Populationsbiologie, aber auch in der Astronomie, Epidemiologie, Geologie und Paläontologie.
Häufig kann man die Schwierigkeiten umgehen, indem man »vergleichende Untersuchungen« anstellt oder »natürliche Experimente« beobachtet, das heißt, man vergleicht natürliche Situationen, die sich im Hinblick auf die untersuchte Variable unterscheiden. Wenn ich mich als Ornithologe beispielsweise für die Frage interessiere, wie der Rostohr-Honigfresser der Gattung Melidectes sich in Neuguinea auf die Bestände anderer Honigfresserarten auswirkt, vergleiche ich die Vogelpopulationen auf Bergen, die sich möglichst ähnlich sind, wobei der eine einer Meli- dectes-Population eine Lebensgrundlage bietet, der andere jedoch nicht. Etwas ganz Ähnliches tue ich auch in meinen Büchern Der dritte Schimpanse - Evolution und Zukunft des Menschen und Warum macht Sex Spaß? - Die Evolution der menschlichen Sexualität: Ich vergleiche verschiedene Tierarten - insbesondere Primaten - und versuche auf diese Weise herauszufinden, warum Frauen (im Gegensatz zu den Weibchen der meisten anderen Tierarten) in die Wechseljahre kommen und den Zeitpunkt des Eisprunges nicht deutlich erkennen lassen, warum Männer nach den Maßstäben des Tierreiches einen relativ großen Penis haben und warum Sex bei Menschen in der Regel im Privatbereich stattfindet, während fast alle anderen Tierarten ihn ganz offen praktizieren. Eine umfangreiche Literatur berichtet über die offenkundigen Fallstricke dieser vergleichenden Methode und die Wege, auf denen man sie am besten vermeiden kann. Insbesondere in den historischen Wissenschaften wie Evolutionsbiologie und historischer Geologie, wo man die Vergangenheit ja nicht experimentell beeinflussen kann, muss man notgedrungen auf Laborversuche als Ersatz für natürliche Experimente zurückgreifen.
In diesem Buch wende ich die
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