Kolonien der Liebe
Krisela und Agnes in eine Ecke, um die Szene für den nächsten Tag zu besprechen.
Wo ist Felice? fragte der Regisseur, und ich lief, um ihn zu holen.
Ich fand ihn im Hof. Es hatte endlich aufgehört zu regnen, der Himmel war fast klar geworden, und Felice rauchte und starrte die Sterne an.
Sie suchen dich, sagte ich, aber er winkte ab. Erzähl mir, was du über Agnes weißt, sagte er. Ich erzählte ihm, was man so las und redete - daß sie ihre beste Zeit wohl hinter sich hatte, daß sie einen Selbstmordversuch gemacht haben sollte und seitdem noch schwieriger war als früher, daß in einer deutschen Boule-vardzeitung neulich die Überschrift gestanden hatte: AGNES
ANSELM BEI DREHARBEITEN ZUSAMMENGEBROCHEN, Untertitel: Schauspielerin fragte weinend nach dem Sinn des Lebens.
Felice sah mich verblüfft an, zog die Augenbrauen hoch und lachte ein wenig. Oha, sagte er und zog an seiner Zigarette. Am nächsten Tag war die Szene mit dem Hund dran. Agnes spielte in unserm Film eine Deutsche, die oberhalb des Dorfes ein Haus hat.
Als sie dort mal wieder einige Zeit verbringt, sieht sie eines Tages, wie der Großgrundbesitzer einen Hund in die Schlucht zwischen Corrido und Carlazzo wirft. Sie stellt ihn heftig zur Rede, es gibt eine scharfe Auseinandersetzung, und ein paar Tage später wird Agnes mitten im Dorf erschossen. Ihre Leiche verschwindet -
wahrscheinlich auch in der Schlucht -, und die Ermittlungen werden mehr als lasch geführt. Soweit das Drehbuch.
Alles, was vorher passierte und auch, wie sich das Dorf nach dem Mord hermetisch wieder zusammenschloß, hatten wir schon gedreht, es fehlten lediglich die Szenen mit Agnes; ihre Ankunft eben, die Szene mit dem Hund, eine Szene in ihrem Haus, wie sie herumtobt und telefoniert, ein resoluter Gang zum Bürgermeister, der Schuß, Tod, aus.
Den Hund hatten wir schon Tage vorher besorgt. Giancarlo, auf dessen Hof teilweise gedreht wurde, hatte angeboten, einen seiner Hunde zu diesem Zweck zu erschießen, er hatte eine Meute unglücklicher Jagdhunde, die in einem engen Zwinger auf Beton herumlungerten und darauf warteten, daß er vier-, fünfmal im Jahr mit ihnen zur Jagd in die Berge ging. Immer wieder starben welche oder wurden aggressiv und bissen Giancarlos Frau, dann wurden sie sowieso erschossen und anschließend in die Schlucht geworfen. Die Schlucht war schmal, sehr tief, mehr als achtzig Meter, schätzten wir, und wurde von einer kleinen Brücke überspannt, die die Orte Corrido und Carlazzo hoch oben am Berg verband. Alles, was man nicht brauchte, landete in dieser Schlucht
- alte Autoreifen, Kühlschränke, Matratzen, tote Tiere, manchmal auch eine zugebundene Plastiktüte mit lebenden Katzen, und von Giuseppina, die vor Jahren verschwunden und nie wieder aufgetaucht war, munkelte man auch, sie läge gewiß dort unten in der Schlucht. Wir fuhren alle immer etwas schneller über diese unheimliche, knarrende Brücke, die an den Seiten ein paar kaffeetassengroße Löcher hatte, durch die das Regenwasser abfließen und durch die man in die Tiefe sehen konnte. Heute nun mußte ausgerechnet auf dieser Brücke die Szene mit Agnes, Felice und dem Hund gedreht werden. Der Regisseur hatte es Giancarlo ausgeredet, einen seiner Hunde für den Film zu erschießen. Statt dessen hatte der Requisiteur im veterinärmedizinischen Institut der nächsten Stadt nachgefragt und einen Schäferhund bekommen, der gerade hatte eingeschläfert werden müssen. Ein präparierter Hund kam für uns nicht in Frage, der wäre zu steif gewesen, und es sollte aussehen, als würde das Tier noch lebend in die Schlucht geworfen. Also ließen wir den eingeschläferten Hund tiefgefrieren, legten ihn in eine Kühltruhe und schoben die in die Garage von Andrea, der auch unsere Autos wartete. Eines Tages hatte Andreas kleine Tochter den Deckel der Truhe geöffnet und den gefrorenen Hund darin gesehen, sie hatte geschrien und sich stundenlang nicht beruhigen können. Zum Drehen mußte der Hund leicht angetaut werden, damit er sich ein bißchen bewegte, wenn er in die Schlucht runterflog, aber nicht zu sehr, damit er nicht stank. Als Agnes nun da war, begann der Requisiteur in der Nacht auf Andreas Hof mit dem Auftauvorgang und erschien am Drehort rechtzeitig mit dem steifgefrorenen Kadaver, an dem die Beine sich schon wieder leicht bewegen ließen. Keiner mochte in die Nähe gehen, und die Bühnenarbeiter spannten unter das Brückengeländer ein Netz, mit dem der Hund aufgefangen werden konnte,
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