Kolonien der Liebe
um eine Weile allein zu sein, nachzudenken und auf ihren Mann zu warten. Warten, ob er anrufen, ob er schreiben, ob er vielleicht sogar nachkommen würde, wie er es vage versprochen hatte, ja, darauf zu warten, ob eigentlich nach acht gemeinsamen Jahren noch Liebe, Sehnsucht, der Wunsch nach Nähe da war.
Das Haus war praktisch und sympathisch eingerichtet - die Dusche funktionierte, der Kamin zog gut, das Bett war nicht zu weich, und es war schön gewesen, ganz allein anzukommen und alles zu entdecken. Sie hatte es immer schrecklich gefunden, eine Wohnung zu betrachten, wenn die Besitzer daneben standen und sagten: «Hier haben wir eine Wand einziehen lassen» oder «Diese Vase hat Ute selbst getöpfert» oder «Da soll noch ein Sofa hin».
Eine Wohnung erzählt genug über die Menschen, die in ihr leben, Lisa brauchte dafür keine Erklärungen. Die Versuchung, Richard anzurufen und zu sagen: «Ich bin da», war groß, aber noch größer der Wunsch, er möge anrufen und fragen: «Bist du da?»
Er rief natürlich nicht an. Lisa machte einen Spaziergang durch den Ort, der vom Hang oben, an dem das Haus lag, schöner aussah, als er wirklich war - die Häuser verfielen, rochen feucht, in den Durchgängen lag Abfall, magere Katzen huschten über die zerbröckelnden Treppen. Auf Plastikleinen hing buntgemusterte Wäsche, und durch die schmalen Gassen bretterten Jugendliche auf ihren schweren Motorrädern. Lisa überlegte sich, wie Jungen aus einem so armen kleinen Städtchen an so teure Maschinen kamen, die um die 10000 Mark kosteten und Stundenkilometer fuhren. Wozu das alles? Um die Leute zu erschrecken, die Katzen totzufahren, abends etwas anderes zu sein als Monteur, Bäcker oder Koch? Der dicke Dorfpolizist stand rotgesichtig an der Ecke und schrie: «Fünftausend!», wenn wieder jemand ohne Helm angebraust kam, oder «Zwanzigtausend!», wenn zu schnell gefahren wurde, aber die Jugendlichen kümmerten sich überhaupt nicht darum und fuhren ab neun Uhr abends krachend von der Via Regina in die Via Militare und zurück durch die Via Roma, an ihm vorbei, der mit Block und Bleistift fuchtelte, Kennzeichen und Strafe in Lire notierte und am nächsten Tag doch völlig überfordert war, die Strafzettel auch wirklich auszustellen. Auf dem Sportplatz spielten die Väter dieser wilden Söhne, Bauarbeiter, Metzger und Holzfäller, am Abend Fußball unter Flutlicht, und in der einzigen Kneipe dröhnte die Musikbox und die Mädchen kicherten. Lisa sah das alles, war froh, nicht dazuzugehören und fürchtete sich doch insgeheim davor, den Kontakt zu den Menschen noch gänzlich zu verlieren. Sie zu ertragen wurde ihr immer schwerer, in Gegenwart von Menschen, die mit ihr reden wollten, brach ihr der Schweiß aus, richtig wohl fühlte sie sich nur allein. Allein oder mit Richard, aber der wich ihr in letzter Zeit immer mehr aus, war selten zu Hause, beachtete sie kaum und schien geradezu erleichtert, als sie ankündigte: «Ich fahre für eine Weile weg.» - «Tu das!» hatte er eine Spur zu rasch gerufen. «Das wird dir guttun, und wenn ich nicht mehr soviel um die Ohren hab, komm ich nach.» - «Wenn du mich liebst, wird alles gut», hatte sie geflüstert und sich an ihn gelehnt, aber sie wußte nicht, ob er sie liebte und was gut werden sollte.
Lisa räumte das Haus auf, das lange leergestanden hatte. Sie wischte die Spinnweben weg und fegte, sie bezog das Bett frisch, lüftete die Schränke und putzte die Spiegel blank. Im Garten pflückte sie letzte Rosen und stellte sie in ein schönes altes Preßglas vor sich hin, wenn sie abends auf den See blickte und Rossini oder Donizetti oder Verdi hörte. Es gab viel italienische Musik im Haus, die gut zur Gegend paßte. Eine scheue graue Katze kam in ihre Nähe geschlichen und fraß vorsichtig, was sie ihr in respektvoller Entfernung zu fressen hinstellte, und es war still und friedlich und Lisa dachte: Am schönsten wäre es, man könnte einfach die Luft für einen Augenblick anhalten und alles wäre vorbei.
Die Katze setzte sich in ihre Nähe und putzte sich, und im Radio sang die Callas. Lisa dachte daran, daß die Callas sich ein Grab neben dem Grab von Bellini hatte reservieren lassen, und Jahre später hatte sie es wieder abbestellt, weil es ihr nie gelungen war, Normas Sterbearie wirklich perfekt zu singen. Wo würde sie liegen wollen, sie, Lisa, wenn sie tot war? Neben Richard. Dann hätten sie endlich Zeit und Ruhe füreinander, und er könnte nicht dauernd weglaufen und
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