Kolonien der Liebe
Augen und nannte einen niedrigen Preis. Lisa konnte sich an ihren Füßen solche Gebilde nicht vorstellen, wer trug bloß so was? Ganz junge Mädchen vielleicht oder junge Mütter, die noch einmal mit Jungmädchenfüßen in fremden Gärten tanzen wollten, ein letztes Mal - sie dankte, lächelte und ging weiter zum Käsestand.
Sie kaufte immer bei diesem unermeßlich dicken Käsehändler, der eine junge Mitarbeiterin hatte, die seine Geliebte zu sein schien. Jedenfalls strahlten sich die beiden an und scherzten und lachten, wie es Ehepaare oder Vater und Tochter nicht gemacht hätten, und dafür, daß sie einfach nur seine Angestellte und sonst nichts gewesen wäre, lag zuviel Flirren und Flimmern und Flirten in der Luft.
Der Käsehändler ließ immer großzügig probieren. Mit einem kräftigen Messer säbelte er einen Schnitz Käse vom Fontina, vom Taleggio, ein Stückchen Grana, und zufrieden lächelte er, wenn es ihr schmeckte und sie von jedem eine Scheibe kaufte. «Immer noch allein?» fragte er, «ancora da sola?», und sie nickte, ja, ihr Mann hätte soviel Arbeit, aber er käme gewiß noch. Die Stimme, mit der sie das sagte, schien ihr wie eingerostet, und sie überlegte, daß sie seit dem letzten Dienstag so gut wie nicht gesprochen hatte - mal beim Brotkaufen, ein paar Worte mit der Katze, sonst hatte sie nichts geredet. Wie mochte der Käsehändler leben? Mit dieser kleinen Frau? Sicher nicht. Er hatte bestimmt eine Frau, die so dick war wie er, und er würde Söhne haben und einen Hund an der Kette, und er schwärmte für Juventus Turin und Raffaella Carrá, und in seiner Wohnung würde es säuerlich riechen, nach Parmesan, Ricotta und alter Milch.
Sie spürte, wie der Käsehändler ihr nachsah, als sie weiterging.
Er würde denken: Sie ist zu dünn, sie ißt zuwenig Käse und Sahne, und es sei im Grunde kein Wunder, daß ihr Alter nicht käme, eine Schönheit sei sie ja nun wirklich nicht, madonna !
Am Speck- und Salamistand mußte sie aufpassen, daß sie überhaupt drankam. Da war ein solches Getümmel von Müttern, die noch zweihundert hiervon und dreihundert davon, aber dünn!
dünn! kauften, alles ging durcheinander, und der Salamijüngling sang und scherzte und paßte nicht auf und bevorzugte seine Lieblinge, die guten jungen Kundinnen, denen er zuviel berechnen und dafür weniger abwiegen konnte, weil er ihnen in die Augen sah und ihren Blick von Kasse und Waage wegzog, da mußte sie sich sehr anstrengen, um bemerkt zu werden und ein bißchen Schinken zu kaufen. Ritsch, ratsch, klatsch ins Papier, schwupp, zugewickelt, in Sekundenschnelle gewogen, dreitausend Lire, die nächste Signora. Am Werkzeugstand das genaue Gegenteil.
Umständlich, geduldig und genau erklärte ein alter, verwitterter Mann einem Bauern mit verarbeiteten Händen ein Gerät, von dem Lisa nicht mal wußte, was es war - es war rechtwinklig, aus Eisen, und hatte an der Seite ein drehbares Holzgewinde. Der Stand faszinierte sie, und sie hätte so gern Richard dabeigehabt, der nicht ungeschickt war, vieles selbst reparieren konnte und sicher Spaß an den Werkzeugen gehabt hätte. Ob er gesehen hätte, daß über der Kasse am Holzpfosten ein verblaßtes Bild von Papst Johannes XXIII. hing? Der hing hier überall, in allen Küchen und Geschäften, den hatten sie eliebt, «L'altro non abbiamo in casa», sagten sie abfällig über den jetzigen Papst, den polacco di Roma, wie sie ihn nannten, «den haben wir nicht im Haus». Jetzt kamen die häßlichen Gürtel, Portemonnaies, Ledertaschen. Eine Frau saß dabei, die immer und ununterbrochen aß. Lisa hatte sie noch nie ohne Schinkenbrötchen, Mandelhörnchen, Marmeladenkuchen gesehen, sie aß getrockneten Fisch und triefende Melonen-cheiben, Karamellen, ein Stück Pizza, und einmal knabberte sie an einer Stange Rhabarber. Auch wenn interessierte Kunden stehenblieben, aß sie weiter, nannte mit vollem Mund Preise, zeigte mit ihren fettigen Fingern auf Beutel und Taschen und aß auch, wenn sie kassierte oder einwickelte.
Am nächsten Stand gab es alles für den Haushalt - Spülmittel und Bürsten, Trockentücher, Handfeger, Nähnadeln, Garn, Fingerhüte, Badezusätze, Haarklammern, Toilettenpapier. Hier kaufte Lisa immer irgend etwas, bei Zwillingsschwestern, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen und graue Kittel und bunte Schals trugen. Solche Stecknadeln mit großen bunten Glasknöpfen gabes in Deutschland nicht mehr, und das Nähgarn war zu einem Zopf geflochten, aus dem man die
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