Kolonien der Liebe
Metropoltheater traten Künstler im Rahmen des Volksbegehrens gegen die Zersiedlung der Au und das Wasserkraftwerk bei Hainburg auf. Die Haussetzer kamen, die sogar in diesem eisigen Winter draußen ausgeharrt hatten, und sie kamen ins überheizte Theater mit ihren Parkas, peruanischen Pullovern mit Tiermotiven und Ohrenklappen, gefeiert als die letzten Helden mit Jutetaschen und Zipfelmützen, Vollbärten und weisem Lächeln. Sie tranken aus jedermanns Gläsern und ließen sich verehren. Ich habe sie um ihr Engagement beneidet. Ich kann mich außer über mich selbst über nichts mehr wirklich aufregen.
In der Neuen Galerie in der Stallburg hängen an rissigen Wänden in verwahrloster Umgebung Wiens schönste Bilder - stille braune Landschaften von Caspar David Friedrich, in die ich klein hineinspazieren möchte, um in der Ferne zu verschwinden, eine präraffaelitische Medea von Anselm Feuerbach und zwei Selbstbildnisse von ihm - das eine zeigt einen mürrischen Hitzkopf mit einer Warze an der linken Wange, das andere einen schönen Künstler mit Zwirbelbart, glimmender Zigarette und vorteilhaft von rechts gemalt, ohne Warze. Beide Bilder hängen widersinnig weit auseinander, man kann sie nicht recht vergleichen, was doch gerade das Vergnügen daran wäre. Hier hängen von Max Sievogt Szenen wie aus Dramen von Schnitzler, hier hängt van Goghs Selbstbildnis mit den stechenden Augen und das grüngrüne ild mit den roten Mohntupfern, die «Ebene bei Auvers», und hier hängt der Segantini, nach dem ich so lange gesucht habe: «Die bösen Mütter». Eine weite Hochebene, Schnee, dunkelblaue Schatten-erge, ein paar Gipfel in der Sonne. Auf dem Schneefeld ein Baum, der sich im Wind biegt, man sieht förmlich, wie kalt der Wind ist, und eine Frau mit nackter Brust verfängt sich mit einem Schleier aus Haaren in den Ästen, ein Kind liegt ihr an der Brust, sie hält es aber nicht. - as ist ein Thema aus einer buddhistischen Legende: Kindsmörderinnen müssen, über Schneefeldern schwebend, ihre toten Kinder säugen.
Das Bild tat mir weh, und an diesem Abend habe ich mich mit einem Maler eingelassen, den ich im Hawelka kennenlernte, er hieß Edmond und sprach unentwegt von seinen verschiedenen Schaffensperioden. Die Bilder, die er mir in seinem Atelier zeigte, gefielen mir nicht, aber Edmond hatte schöne Hände, und ich blieb zwei Tage und zwei Nächte bei ihm - jetzt wüßte ich nicht einmal mehr die Adresse, den Nachnamen habe ich ohnehin nie erfragt.
Du wolltest, daß ich bei dir bliebe an dem Abend nach dem Konzert. Was hast du dir dabei gedacht, Alban? Eine Eroberung zu machen? Einen Sieg zu erringen? War ich mit vierundzwanzig auch so sorglos und so von mir überzeugt? Ja, wahrscheinlich.
Aber Liebe, Alban, fliegt im Bett davon, das wirst du noch merken.
Ich will dich nicht haben. Ich will dich nicht einmal mehr sehen. Du sollst schön bleiben für mich.
Wenn man sich im Schneeregen über die Wollzeile bis zum Alten Rathaus durchgekämpft hat, findet man in der Wipp-lingerstraße, Stiege III, das Museum des österreichischen Freiheitskampfes. Für eine kleine, erschütternde Ausstellung wurden liebevoll Exponate aus Österreichs Widerstand gegen den Faschismus zusammengetragen. Flugblätter, illegale Druck-pressen, in Toilettenschränkchen eingebaut, Aufkleber, Plakate, Zeitungen, Photos - und die grausigen Dokumente aus dem KZ
Mauthausen: winzige Handarbeiten von Frauen, Büchlein in Herzchenform mit gestickten Sprüchen von Friedrich Engels:
«Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit»; Schachfiguren aus Brot, Ringe aus Zwirn, geheime Glückwunschkarten für Lagerinsassen, die Geburtstag hatten. Alban, wir sind ein kleiner Teil der Welt, du und ich, eingebettet in Geschichte, und unsere Geschichte ist die lächerlichste von allen.
An den Wänden zeigten Photos Österreichs berühmte Exilanten
- Fritz Kortner, Fred Zinnemann, Max Reinhardt, Otto Preminger, Joseph Roth, Stefan Zweig, Lotte Lehmann, Richard Tauber, Oskar Kokoschka, Musil, Werfel, Schönberg, Horváth, Popper, Canetti, Bruno Walter - es nimmt kein Ende, und wäre dir der Brief an einen Standortpfarrer in Wien I aufgefallen, Alban? Morgen früh. 7.2.45 um 4.30 Uhr, werde er abgeholt, es fänden neun Exekutionen statt, für die man anderthalb Stunden Zeit hätte. Falls er es allein nicht schaffe, könne Hochwürden Wimmer bei den letzten Tröstungen helfen.
Der 7.2. ist dein Geburtstag, Alban, aber genau zwanzig Jahre später. In deinem Leben
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