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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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hätte nicht hier noch einen Termin und da noch einen und dies noch und das noch. Sie würden daliegen im warmen Regen und wären endlich wirklich zusammen, so wie ganz am Anfang.
    Es war Montag abend. «Wenn du kommst, dann nicht an einem Dienstag», hatte sie ihm am Telefon gesagt. «Dienstags bin ich auf dem Markt in Lenno.» Das mußte vor zwei? drei? vier Wochen gewesen sein, und laut und fahrig hatte er gerufen: «O gut, daß du das sagst, werd ich mir sofort notieren, nicht dienstags.» Und dann hatte er noch hinzugefügt, im Moment könne er leider gar nicht weg, zuviel Arbeit, aber er würde selbstverständlich schreiben, und ob es ihr denn gutginge?
    O ja, hatte sie geantwortet, sehr gut, ich lese viel, ich gehe spazieren, und er hatte gerufen: «So schön möchte ich es auch einmal haben!» Er hätte es jederzeit «so schön» haben können, aber er wollte es nicht. Ruhe war nichts für ihn, er brauchte Trubel, Leute, Gasthäuser, Bewunderung, Männer, die ihn geistreich und Frauen, die ihn anziehend fanden, er mußte das ununterbrochen in ihren Augen lesen, sonst hatte er keinen Boden unter den Füßen.
    Lisa war am liebsten allein und konnte stundenlang auf eine Landschaft oder in den Himmel starren. Sie mußte nicht reden, sie brauchte keine Menschen, sie sank in sich selbst hinein und hatte nur Sehnsucht nach einem einzigen Menschen, nach Richard, der die ganze Welt für sie war mit all der Unruhe, die er um sich verbreitete. Lisa hatte Richard ein paarmal geschrieben - über das, was sie las, Kleinigkeiten, die sie im Dorf beobachtet hatte, sie hatte ihm beschrieben, was über dem Eingang der Kirche stand -
    Dio é l'amore e l'amore vince la morte. Von ihm war kein Brief gekommen. Aber vielleicht hatte er ja doch geschrieben, und auf die italienische Post war mal wieder kein Verlaß, der Brief lag wahrscheinlich in Como, in Porlezza, vielleicht schickten sie die Post auch erst nach Mailand, ehe sie sie in die Provinz verteilten.
    Oder er hatte geschrieben und den Brief in seiner blauen Jacke vergessen, weil er seit Tagen nach einer Briefmarke suchte oder die helle Leinenjacke trug und die blaue mit dem Brief darin lag im Flur. Am Dienstag morgen nahm sie Geld, Schlüssel, Einkaufstasche und fuhr nach Lenno. Das Haus, gut abge-schlossen, schloß sie sofort noch einmal auf. Sie sah nach, ob sie nicht aus Versehen die Katze eingesperrt hatte, die sich jetzt schon manchmal zu ihr ins Zimmer wagte, und dann schrieb sie noch rasch einen Zettel und legte ihn auf die Matte vor der Tür, mit einem Apfel beschwert: «Richard! Wie schön, daß du da bist - ich bin in Lenno auf dem Markt und komme am späten Nachmittag zurück. Lisa.» War nicht alles möglich?
    Der Markt, ein paar Dörfer weiter, zog sich am Seeufer unter Oleanderbäumen hin. Lachsfarben und weiß blühten sie bis weit in den Herbst, der inzwischen schon angebrochen war, und sie wünschte, sie könnte ihm einmal zeigen, wie schön es hier war.
    Sie hatte so oft das Bedürfnis, ihm etwas zu zeigen - schau mal, der Hund hat helle Augen, sieh nur, dort über der Eisdiele, die Lampe ist ein Eishörnchen, wie witzig, hast du das Plakat zur Ochsenausstellung gesehen, und hier, die Zeitungsschlagzeile: «O
    Gott - Bibel bei Eduscho!» Sie hatte das Gefühl, daß sie ihn mit ihren vielen Hinweisen, mit ihrem Guck mal und Hör mal und Schau doch überforderte, daß ihn das alles gar nicht interessierte, daß er ganz andere Dinge sah, die sie wiederum nicht bemerkte, daß sie aneinander vorbei hörten, sahen, lebten.
    Der Markt fing mit einem langen Stand für Haushaltswaren an.
    Er gehörte einem jungen Mann, der überhaupt nicht italienisch aussah und sie an einen unsympathischen deutschen Fernsehmoderator erinnerte, der mit triefend langweiliger Stimme Interviews machte und ehrgeizig und besessen in allen dritten Programmen auftauchte. Sie mochte ihn nicht, und deshalb konnte sie auch an diesem Stand nur mit Widerwillen einen kleinen Schneebesen oder ein Küchenmesser kaufen.
    Danach kamen die Schuhe, drei Stände mit den eleganten, leichten italienischen Schuhen, die alle zu dünne Sohlen hatten und nicht einen Regen überstehen würden. In diesem Herbst wurden Lackballerinas in Schockfarben mit Schleifchen zum An-und Abknöpfen billig ausverkauft, der Schlager des verflossenen Sommers. Die Frau mit den blondgefärbten, hochtoupierten Haaren und der aus Wollresten in allen Schattierungen selbstgestrickten Jacke hielt ihr ein Paar in Rosa unter die

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