Kolonien der Liebe
gab es keinen Krieg und keine Lager, keinen Hunger und keine Verfolgung. Du bist bei reichen Eltern aufgewachsen, der umschwärmte, hochbegabte Liebling, dem alles gelang, der alles bekam und alles wegwarf mit leichter Hand.
Hier, in diesem Museum, wandelte sich meine Liebe zu dir in Abscheu, fast in Ekel, ohne daß du etwas dazukonntest - mein Widerwillen gegen dich ist so irrational und unbegründbar, wie meine Zuneigung zu dir es war. Es ist alles mein Problem, Alban, nicht deins. Schon hast du mit der Geschichte nichts mehr zu tun.
Ich war nicht der einzige Besucher in diesem kleinen Schreckens- und Überlebenskabinett. Gerade als ich gehen wollte, kam ein Herr im Pelz und fragte die Kassiererin: «Es soll doch Lampen aus Judenhaut gegeben haben, haben Sie so etwas auch?» Warst du mal in Wien, Alban? Geh in die Domgasse 5, wo Mozart gewohnt und den «Figaro» geschrieben hat. Geh durch den Hinterhof, die arme Treppe hoch, durchs kalte, nasse Treppenhaus in den ersten Stock. Ich weiß nicht, wie du wohnst, aber ich stelle es mir lichtdurchflutet, großzügig und elegant vor, dein Flügel steht wahrscheinlich mitten im Zimmer, und deine teuren Hemden werden auf dem Boden liegen. Ich wäre gern mal in deiner Wohnung gewesen, aber ohne dich.
Mozart bewohnte mit seiner Familie ein paar kleine, dunkle ineinandergehende Räume mit Holzdielen. Zwei Münzen werden ausgestellt: sie müssen ihm gehört haben, man hat sie zwischen den Dielenbrettern gefunden. Hätte er sich lieber Brot dafür gekauft! An der Wand hängt ein Blatt, Noten und Mozarts zarte feine Schrift dazu: «Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn, ich fühl es, ich fühl es, wie dies Götterbild mein Herz mit neuer Regung füllt.»
Unsere Geschichte verfolgt mich, Alban. Dieser Text, ausgerechnet, du Götterbild, das ich angestaunt habe. Aber ich habe keine Lust, durch Feuer und Wasser für dich zu gehen, Prüfungen für dich zu bestehen, ich will nur das Bildnis, ich will nicht den Gott dazu, die Götter sind so wenig dauerhaft, und die Königin der Nacht bin ich selbst.
Im Mai 1917 erhob sich Leo Bronstein in der Herrengasse von seinem Schachbrett, um als Trotzki die russische Revolution zu organisieren. Es ist nicht mehr das alte Cafe Central, aber es ist noch immer schön mit seiner hohen hellen Lichtkuppel, unter der allerdings die falschen Leute sitzen und nicht mehr Peter Altenberg, der die Frauen so liebte. Am Nebentisch saß ein junges Paar, und als ich ging, sagte er gerade verzagt zu ihr: «Aber warum denn?», und sie antwortete: «Du bist mir einfach zu langweilig.»
Am Abend bin ich in die Oper gegangen und habe mir ein Ballettgastspiel angesehen, ich, die für Ballett gar nichts übrig hat, aber weißt du, was mich interessierte? Rudolf Nurejew. Als ich ihn vor vielen Jahren - ich war selbst noch jung - das erste Mal sah, war es ein ähnlicher Eindruck wie bei dir, nicht ganz so stark, denn ich sah nur Photos von ihm, du warst leibhaftig: dieses wilde Gesicht, die hellen Augen, der sinnliche Mund, der kräftige, schöne Körper - ich war sehr erregt und heftig verliebt in Nurejew, und nun waren wir beide alt geworden, und er tanzte auf dieser meiner Winterreise, am 27. Januar, an Mozarts Geburtstag. Ich hatte einen guten Platz, und mein Herz zog sich traurig zusammen, als ich sah, wie er sich quälte, wie die Leichtigkeit dahin war, wie angestrengt er tanzte. Sein Haar lichtet sich am Hinterkopf, sein Gesicht ist noch wild, aber der Anblick eines herumspringenden siebenundvierzigjährigen Mannes in Strumpfhosen ist geradezu lächerlich. Und doch strahlt er immer noch Würde und Grazie aus, ich verstehe noch nach all diesen Jahren, daß ich so verliebt in ihn war - bei dir verstehe ich es nach drei, vier Monaten schon nicht mehr und frage mich: was war da? Und warum? Macht mich denn bloße Schönheit so krank? In den Straßen kommen mir unablässig Schicksale entgegen, und sie sind alle häßlich: zu dicke junge Mädchen, bittere Frauen, verlorene Männer, Menschen mit verkrüppelten Füßen und schweren Brillen. Ja, Schönheit macht mich lebenskrank, sehnsuchtskrank. Für Schönheit opfere ich Erfahrung und Verstand.
Vier Wochen war ich in Wien, und in der vierten Woche bin ich mit der Ui durch eine Betonröhre über die Donau hinweggedonnert und beim verlassenen Arbeiterstrandbad spazierengegangen.
Bretterbuden, verfallene Gartenhäuschen, das ist die Gegend, in der man unentdeckt morden und sterben kann,
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