Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
bzw.
    entsprechende Organveränderungen nicht erkennen lassen. Bei dieser Sachlage muß an eine Vergiftung gedacht werden. Der Mageninhalt ist nicht ganz eindeutig, ein sich absetzender mißfarben grauer, feingriesartiger Satz könnte jedoch für Tablettenreste sprechen.
    Zur weiteren Klärung wurden Urin, Mageninhalt und Organstücke für eine chemische Untersuchung zurückbehalten, weiterhin Blut und Urin zur Alkoholbestimmung und Organstücke der wichtigsten Organe für eine feingewebliche Untersuchung. Unterschrift.
    Datum. Stempel.
    Richard
    Das Schlimmste war gewesen, die Matratze zu verbrennen. Er war schon gegen sechs Uhr früh damit zur Müllkippe gefahren, ein Arbeiter hatte ihm gezeigt, wo er Feuer machen durfte. Er saß dabei, bis alles verbrannt war und die stinkenden schwarzen Rauchwolken langsam abzogen, und er versuchte, irgend etwas zu fühlen: Trauer, Reue, Scham, Verzweiflung, Liebe, Ratlosigkeit
    - aber da war nichts. Er fühlte nichts und sah den Ratten zu, die sich in der Sonne auf einem Stück Blech putzten. Er rauchte eine Zigarette und dann noch eine, und dann stand er auf und reckte sich und schüttelte seine steifgewordenen Beine. Wenigstens, dachte er, haben wir in diesem Bett nie zusammen geschlafen, und plötzlich kam die Trauer wie ein Schlag mit einem schweren Gegenstand, wie ein Hieb durch die Brust, und als hätte sich die schwarze Matratzenwolke auf ihn gesenkt, konnte er für einen Augenblick nicht mehr atmen. Er fühlte das Bedürfnis, zu den glimmenden Matratzenresten zu laufen, seinen Kopf hinein-zugraben und zu schluchzen. «Es tut mir so leid, so leid», weinte er, ohne Tränen. Er war zu spät gekommen. Oder sie war rechtzeitig gegangen, um nicht hören zu müssen, was er ihr hatte sagen wollen.
    Er steckte dem Arbeiter 5000 Lire Trinkgeld zu und ging, ohne sich umzudrehen. Er wollte jetzt nicht zurück in das spießig eingerichtete kleine Haus, dessen Besitzer, in Panik geraten über die Zwischenfälle, heute angereist kämen. Lisas Sachen konnte er morgen zusammenpacken. Er wußte auch nicht, was er in dem schmalen, kühlen Hotelzimmer hätte tun sollen, und so fuhr er - es war ein schöner Herbsttag - die stark befahrene Uferstraße am See entlang, ohne Ziel.
    In einem Ort war Markttag. Er parkte das Auto und bummelte über die Straße zu den ersten Ständen, die sich am See entlangzogen. Der Kerl am Haushaltswarenstand erinnerte ihn an jemanden - dieses blasierte fade Gesicht, wo hatte er das schon gesehen? So was wußte Lisa immer. Dauernd sagte sie: der erinnert mich daran, der erinnert mich an den, sieh mal da, wie Soundso. Das war ihm manchmal auf die Nerven gegangen, aber daß er es nun nie wieder hören würde... Als er ins Haus gekommen war und sie gefunden hatte, war ihm schlecht geworden. Er war in den Garten gelaufen und hatte sich übergeben müssen, und dann hatte er sich kaum wieder hineingewagt, um die Polizei anzurufen. Bis sie eintraf, hatte er in der Tür gestanden und Lisa angesehen, wie sie dalag, in dem fremden Haus, auf dem fremden Bett, und eine kleine graue Katze war ihm um die Beine gestrichen. Er hatte sich sehr erschrocken und sie verjagt, und ehe die Polizei kam, hatte er Lisas Tagebuch vom Tisch genommen und in seine Reisetasche gesteckt. Er hatte es kurz aufgeschlagen - «Wenn du mich liebst, wird alles gut»
    stand da als erster Satz, und er hatte es zugeklappt und gewußt, daß er es nicht lesen würde. Er hätte es zusammen mit der Matratze verbrennen sollen.
    Eine Frau mit blonden, hoch toupierten Haaren und einem unmöglichen Pullover verkaufte Schuhe und hielt ihm ein Paar rosa Lackballerinas unter die Nase, nur 20000 Lire, Sommerschlußverkauf. Das war was für Marietta, die bestimmt erwartete, daß er ihr aus Italien etwas mitbringen würde. Sie hatte gemault und wäre gern mitgefahren, «ich kann mich doch im Hotel verstecken», hatte sie gesagt, «und wenn du ihr alles gesagt hast, fahren wir beide noch ein bißchen durch die Gegend». Aber er wollte allein fahren, Lisa hatte einen sechsten Sinn für solche Sachen, sie hätte sofort gemerkt, daß jemand mit ihm gekommen war. Er hatte sich vorgenommen, einen Tag zu bleiben, zu sagen, Lisa, es ist aus mit uns, ich möchte mich von dir trennen, habe mich schon getrennt, du kannst zurückkommen in die Wohnung, ich bin ausgezogen, ich lebe bei einer anderen Frau. Sie hätte geweint, er wäre noch ein wenig bei ihr gesessen und dann wieder abgereist. So hatte er sich das gedacht.
    Er

Weitere Kostenlose Bücher