Koma
versuchte krampfhaft, die Augen offenzuhalten. Das nahm ihre ganze Kraft in Anspruch.
»Was haben Sie dazu zu sagen, Susan? Sind Sie willens, dieses hervorragende Gehirn, über das Sie verfügen, ganz dem Wohl der Menschheit zur Verfügung zu stellen, der Wissenschaft und der Medizin?«
Susans Mund formte Worte, aber es wurde nur ein unverständliches Flüstern daraus. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Stark beugte sich weit vor, bis fast an ihre Lippen.
»Sagen Sie’s Susan, sagen Sie’s noch einmal. Ich werde Sie hören.«
Susans Mund zuckte. Sie kämpfte mit der ersten Silbe. Es wurde nur ein rauhes Flüstern.
»Leck mich am Arsch, du verrücktes …« Susans Kopf fiel zurück. Der Mund blieb offen. Ihr Atem kam in regelmäßigen Zügen.
Stark betrachtete Susans betäubte Gestalt mehrere Minuten lang sinnend. Ihr Trotz ärgerte ihn. Aber dann ging sein Ärger in Enttäuschung über. »Susan, dein Gehirn hätte uns gute Dienste geleistet.« Langsam schüttelte er den Kopf. »Aber vielleicht kannst du uns auch so noch nützen.«
Er griff zum Telefon und wählte die Notaufnahme. Dort ließ er sich den diensttuenden Arzt geben.
Donnerstag
26. Februar
23 Uhr 51
Der Aufenthaltsraum für den Nachtdienstarzt im Memorial war eng und in jeder Hinsicht kärglich. Zum Inventar gehörten ein Krankenhausbett, das sich in die verschiedensten Positionen verstellen ließ, ein kleiner Schreibtisch, ein Fernsehgerät, das mit viel Mühe und wenig Schärfe gerade zwei Sender auf die Mattscheibe brachte, sowie eine Ansammlung alter, zerfledderter »Penthouse«-Magazine. Am Tisch saß Bellows. Er hatte einen Artikel des American Journal of Surgery vor sich, konnte sich aber nicht konzentrieren. Seine Gedanken liefen in irrationalen Bahnen, und sein Gewissen plagte ihn. Immer wieder kam ihm Susans überraschendes Auftauchen in den Sinn. Bellows hatte sie sehr wohl gesehen, als sie ein paar Stunden zuvor in das Memorial gekommen war. Er wußte, daß sie dicht hinter ihm lief, und erwartete, von ihr angehalten zu werden. Als sie nichts dergleichen tat, war er sehr überrascht.
Zwar hatte Bellows Susan nicht direkt angesehen, doch war ihm ihr Aufzug nicht entgangen: das verklebte Haar, der blutbefleckte und zerfetzte Kittel. Er hatte Besorgnis und Mitgefühl empfunden, zugleich aber den starken Drang, sich herauszuhalten. Schließlich stand sein Job im Memorial auf dem Spiel. Sofern Susan medizinische Versorgung brauchte, war sie hier richtig, sagte er sich. War sie indessen auf seelischen Beistand aus, so sollte sie ihn besser anrufen und sich irgendwo außerhalb mit ihm verabreden. Aber Susan hatte ihn weder angehalten noch telefonisch mit ihm Verbindung aufzunehmen gesucht.
Inzwischen wußte Bellows, daß Susan als Patientin im Memorial lag und Stark selbst ihren Fall übernommen hatte. Als dienstältester Nachtdiensthabender war Bellows auch informiert, worum es sich handelte: akute Blinddarmoperation. Das schien ein merkwürdiges Zusammentreffen zu sein, aber so was kam nun einmal vor. Und Stark würde sie operieren. Zuerst hatte Bellows die Assistenz übernehmen wollen. Dann sagte ihm sein Verstand, daß er, wo Susan im Spiel war, kaum die gebotene Objektivität aufbringen würde, und das konnte sich im OP leicht als Handikap erweisen. So entschied er sich anders und schickte einen jüngeren Assistenzarzt. Er selbst blieb in der Notaufnahme und harrte der Dinge.
Jetzt sah er auf die Uhr: fast Mitternacht. Er wußte, in etwa zehn Minuten würden sie mit der Operation beginnen. Noch einmal versuchte er, sich auf den Zeitschriftenartikel zu konzentrieren, mit ebensowenig Erfolg. Im Hinterkopf machte ihm irgend etwas zu schaffen. Nach einer Weile griff er zum Telefon und erkundigte sich, in welchem OP der Blinddarm angesetzt war.
»Nummer acht, Dr. Bellows«, erwiderte die Operationsschwester.
Nachdenklich legte Bellows auf. Komisch. Ausgerechnet der Operationssaal, an dessen Sauerstoffzuleitung Susan das Ventil entdeckt hatte. Und derselbe OP, in dem schon soviel schiefgegangen war.
Wieder sah Bellows auf die Uhr. Plötzlich stand er auf. Ihm war eingefallen, daß er völlig vergessen hatte, seinen Nachtimbiß aus der Cafeteria zu holen. Bellows zog die Schuhe an und machte sich auf den Weg. Aber seine Gedanken drehten sich um das Ventil.
Er stieg in den Fahrstuhl und drückte den Knopf für den ersten Stock, wo die Kantine lag. Unterwegs änderte er seine Absicht und drückte auf Knopf 2. Zum Teufel, fluchte er
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