Komisch - die Liebe
spät geworden, gestern …« Sie kichert.
Ich kichere auch, wenngleich mit einer bitteren Note.
Wir reden noch ein bisschen, wie der Tag war und mehr solchen Unsinn.
»Möchtest du vielleicht noch vorbeikommen auf ein halbes, aber wirklich nur ein halbes Glas Wein?«
Ich bin in Versuchung. Ich bin Eva im Garten Eden angesichts des Apfels. Was tun? Kopf oder Zahl? Zahl oder Wonne? Ich bin
ein Tropfen im Meer der Unentschlossenheit. Ein weites und stürmisches Meer. Warum nur kann ich nicht schwimmen?
»Ach nein, danke. Du bist müde, vielleicht sehen wir uns ja morgen.«
»Das wäre schön!«
Ihr fröhlicher und inniger Tonfall lässt mich vergessen, dass ich vor lauter Unentschlossenheit entschieden hatte, schnell
zu ihr rüberzurennen, während meine Zunge und meine Stimmbänder sich schon anders entschieden und anders artikuliert hatten.
»Dann hören wir uns morgen gegen acht. Du rufst mich an«, lacht sie.
»O. k. Ich rufe dich an. Schlaf gut, Clelia.«
Was für ein schöner Name. Wie gut er durch mein gesamtes Lymphsystem tönt.
»Schlaf du auch gut. Ich schicke dir einen Kuss, Nino.«
Schlaf gut, freundliche Mücke, die an meinem Herzen saugt. Schlaf gut, schöner heiliger Vampir.
W ir sitzen in einem Lokal. Der Abend ist mild. Wir wollten irgendwo draußen essen.
Rom ist eine unfassbare Stadt. Der Verkehr ist mörderisch. Es herrscht ein generelles Chaos und so wenig Liebe zwischen den
Menschen, dass es früher oder später zum Bürgerkrieg kommen wird.
Home Alone – Somewhere in My Memory
von John Williams .
Aber Rom ist schön. Und dann dieses Wetter. Es ist wie dafür gemacht, die Stadt zu genießen, egal wie chaotisch sie sein mag.
Und auch Clelia ist schön, wirklich schön. Mein ganz privates Rom. Eingewickelt in ihren Retro-Mantel. Sie ist so elegant.
Von ganz eigener Eleganz.
Sie redet ununterbrochen. Ich mag es, ihr zuzuhören. Ich mag sie.
Sie erzählt von sich. Von ihrer kleinen Wohnung, die sie mit einem Kredit gekauft hat. Von ihrer Arbeit. Wie schwer es ist,
in ein gutes Orchester zu kommen. Wie lange sie andere Kollegen als »Springerin« vertreten musste, bevor sie eine Anstellung
bekam, besser gesagt, bevor sie zur »Festen« wurde. Von den Vorspielen. Wie sehr sie Musik liebt. Die wichtigste und kommunikativste
Kunst, die es gibt.
Da bin ich ganz ihrer Meinung.
Während sie auf mich einredet, tanze ich auf den Notenlinien. Ich mag es, wenn sie lächelt. Ihre fröhlichen Zähne tanzen mit
mir.
Clelia fragt nach mir. Ich höre auf zu tanzen und kehre an den Tisch zurück.
Ich erzähle ihr von dem zwecklosen Philosophiestudium. Von dem Unfall meiner Eltern. Von der Buchhandlung. Von Schuh.
Sie nimmt meine Hand, ein bisschen erschüttert. Ich küsse die ihre und wechsele das Thema.
Wir trinken einen guten Wein. Essen voll Genuss. Voller Heiterkeit.
Sie erzählt mir, dass sie seit nunmehr vier Jahren keine feste Beziehung hatte.
Seit drei Monaten hatte sie keinen Sex mehr. Das letzte Mal mit einem ihrer Exfreunde. Einem holländischen Violinisten, den
sie auf einer Tournee wiedergetroffen hat. Einer, mit dem sie vor Jahren mal einige Wochen zusammen war. Ich hasse ihn jetzt
schon.
Von etwas Neuem, etwas Festem will sie nichts wissen. Das ist nichts für sie.
Sie klingt wie eine Laienschwester, die mit ihrer Musik verheiratet ist. Ihrem Gott.
»Sag niemals nie«, meine ich.
»Doch, doch …«, erwidert sie lachend.
Ich setze eine liebenswert spöttische Miene auf.
»Nein, ernsthaft«, sagt sie. »Und du? Warum läufst du so ganz solo herum?«
»Sagen wir es so: Ich habe nicht meinen Gott geheiratet und bin ganz zufrieden damit.«
»Siehst du? Du bist wie ich.«
Sie beugt sich über den Tisch und küsst mich.
Erkennst du denn nicht, dass ich den Ring in meiner Tasche habe, für dich? Dass ich meine schönsten Kleider angelegt habe,
für dich? Dass ich für dich den Drachen aus deinem Königreich in meinem Herzen vertrieben habe? Dass ich für dich meine Dämonen
bekämpfen werde? Für dich, Clelia. Nur für dich, meine Liebe. Mein Rom. Meine Stadt.
»Tja …«, sage ich knapp.
Ich, König ohne Königreich, aber dafür dein Prinz.
»Ich muss dir etwas sagen …«, meint sie mit listigem Blick, wie ein Kind, das vorgibt, noch an den Weihnachtsmann zu glauben,
aus Angst, sonst keine Geschenke zu bekommen.
»Sag.« Ich bebe vor Neugier.
Sie steht auf.
»Ist mir peinlich.« Sie sieht sich um und tritt ganz nah an mich heran. »Du
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