Komisch - die Liebe
ist es wirklich nur ein Spiel. Luisa
sieht auf die Uhr, sie muss gehen. Ich warte noch auf meinen Kaffee. Sie reicht mir ihre Visitenkarte.
»Wenn du magst, ruf doch mal an.«
Ich stehe auf, um mich zu verabschieden. Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange, ich erwidere ihn.
»War schön, dich kennenzulernen …« Dabei schaut sie mir tief in die Augen.
»Ganz meinerseits. Bis bald.«
Ich sehe ihr nach. Sie dreht sich noch einmal um, wirft mir einen letzten Blick zu. Ich lächele und hebe die Hand zum Gruß.
Sie erwidert ihn nicht und geht schnellen Schrittes auf ihren Termin zu.
Komisch. Ich habe mit ihr geredet und gleichzeitig anClelia gedacht. Ich habe Vergleiche angestellt. Und keine Sekunde, nicht den winzigsten Augenblick lang habe ich etwas anderes
gedacht als: Clelia ist die einzige Frau, die ich will.
Ich hatte überhaupt nicht vor, mich zu verlieben. Schon gar nicht so. In null Komma nichts. Das ist mir noch nie passiert.
Normalerweise spiele ich eine Weile den Verliebten. Rede es mir selbst ein. Um dann bald wieder der normale egozentrische
Nino zu werden, immer ein bisschen selbstverliebt und distanziert. Aber nein: Ich bin nicht verliebt. Ich spiele wieder nur.
Rede ich mir ein. Klar doch.
Ich will ja gar keine feste Beziehung.
Nicht jetzt.
Bis heute.
Heute ist heute. Die Vergangenheit existiert nicht. Es existiert nur die Gegenwart und heute bin ich nicht mehr der Nino,
der ich gestern war. Verschwunden.
Desaparecido
.
Was ist nur los?
Ich spaziere zum Laden zurück, die Hände in den Taschen vergraben, und pfeife. Ich pfeife, um mich abzulenken, aber die Krankheit,
die ich nicht abschütteln kann, steckt mir im Blut. Schwächt es. Entzündet es, sobald es durch das Herz fließt. Mein Herz.
Warum hat sie beim Abendessen gesagt, dass sie keine feste Beziehung will? Warum hat sie das zu mir gesagt? Warum?
Und warum hat mich das so getroffen, dass ich immer noch daran denken muss? Warum?
Warum habe ich es nicht gesagt?
So viele Fragen.
Ich weiß nur, dass ich sie heute nicht sehen werde. Proben bis spät und dann die monatliche Orchesterversammlung.Ja sind die denn so eine Art Verein, oder was? Eine Eigentümergemeinschaft? Eine Familie? Ist ja schließlich nicht Weihnachten.
Immerhin hätte sie nach ihrer Bruderschafts-Versammlung von Orchesteridioten bei mir übernachten können. Sie übernachtet nie
woanders … Sie hätte mich zu sich einladen können. Klar. Warum hat sie nicht gesagt: Nino, mein Lieber, komm doch einfach
zu mir zum Schlafen!
Hätte ich es denn getan? Keine Ahnung. Ich übernachte nicht gern woanders. Ich schlafe dann schlecht. Aber wir hätten es versuchen
können. Ich bin verwirrt. Drehe mich im Kreis. Ich versuche, für zwei zu denken, und merke, dass Clelia und ich uns sehr ähnlich
sind.
Was ist nur los?
Eine SMS trudelt ein. Von Clelia: »Wir proben gerade ein
Allegro con brio
von Bach. Musste an dich denken. Küsse.«
Von wegen
Allegro con brio
, ich singe hier eher ein Mozart’sches
Requiem
.
»Herrlich. Küsse zurück.« Was für eine erbärmliche Antwort, ganz toll. Super gemacht.
Was in aller Welt ist nur mit mir los?
Die Ampel vor mir springt auf Gelb. Ich bleibe stehen.
An der Kreuzung wartet eins von diesen Spielzeugautos für reiche Halbwüchsige. Ausgestattet mit einer schreckenerregenden
Stereoanlage. Die Musik, die durch die Scheiben dröhnt, lässt die Bäume am Straßenrand erzittern. Aber gute Mucke. Gerade
als die Ampel auf Grün springt, beginnt
Where Is My Mind
von den Pixies. Ein echter Knaller.
Dieses »Stop!« zu Beginn des Liedes klingt wie eine Botschaft an mich von den entferntesten Sternen, die dem Universum um
einige Entwicklungsstadien voraus sind.
Stop! Was bin ich für ein Idiot!
Ein Lächeln überkommt mich. Jetzt gehe ich glücklicher weiter. Ich pfeife fröhlich. Zufrieden.
Ich habe Clelia kennengelernt, und wir gefallen uns.
Nun sehe ich einiges klarer: Die Angst ist es, gegen die man ankämpfen muss. Ich hatte nichts kapiert bisher.
Diese Erkenntnis befreit und erlöst mich. Beruhigt mich.
Holt mich auf den Boden zurück.
Spiel schön, Clelia, mein Herz. Die Musik sei mit dir.
Ich schließe mich im Laden ein. Schalte das Handy ab. Schlafe.
Wenn ich will, kann ich überall schlafen, egal ob ich müde bin oder nicht.
Ich schlafe und träume von dir. Meine Freude. Ich und du. Wir. Isis und Osiris, aber ohne den Tod und die zerstückelten Leiber.
Wir, auf dem Siegertreppchen von
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