Komisch - die Liebe
Warum hast du nicht angerufen?«
»Nino, bitte mach die scheiß Haustür auf!«
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
»Ich komme runter.«
Sie steht neben einem Taxi.
»Kannst du den Fahrer bezahlen? Ich habe kein Geld dabei.«
Ich zahle das Taxi. Ich sehe sie an, auf dem Wangenknochen hat sie eine Schwellung und an der Nase Reste von Blut.
»Was ist denn passiert?«
»Er hat mich wieder geschlagen …«
»Dieser Mistkerl. Warum?«
»Wir haben gestritten, und um ihn zu ärgern, habe ich gesagt, dass wir zusammen im Bett waren.«
»Das war ja eine tolle Idee, gratuliere.«
»Nino, jetzt fang du nicht auch noch an.«
Ich drehe mich um, wende ihr den Rücken zu. Ich atme ein und zähle bis zweitausend. Ich drehe mich wieder um. Sie weint.
»Tut es weh? Warst du beim Arzt?«
»Natürlich tut es weh.«
Ich schaue auf die Uhr. Ich hake Viola unter und bringe sie zu meinem Auto.
»Steig ein.«
Ich nehme mein Handy und schreibe Clelia eine SMS.
Schweigend fahren wir los. In der Notaufnahme füllen wir alle Unterlagen für die Untersuchung aus. Uns wird gesagt, dass es
ein wenig dauern kann. Viola setzt sich.
Ich sehe mich um: Was tue ich hier? Ich bin nicht krank. Mir geht’s gut. Ich hole ein paar Scheine aus meiner Börse und gebe
sie ihr, sie sieht mich erstaunt an. Ich küsse sie auf die Wange und wende mich wortlos zum Gehen.
»Nino!«
Ich drehe mich nicht um.
»Nino, wenn du jetzt gehst, siehst du mich nie wieder!«
Wer’s glaubt …
»Nino!«
Ihre Stimme klingt fern. So fern wie eine böse Erinnerung.
Clelia betritt meine Wohnung.
Ein ganz anderes Licht. Ein ganz anderes Lächeln. Ein echtes Lächeln. Eine andere Welt: meine.
Liebe.
I ch sitze am Steuer meines Wagens. Aus der ziemlich maroden Stereoanlage fließt
The Shining
von Badly Drawn Boy. Nach und nach sehe ich alles ein wenig klarer.
Jenseits aller Schauspielerei. Jenseits dessen, was meine Vergangenheit war. Jenseits dessen, was ich immer über Paare gedacht
habe, nämlich dass das Paar eine Illusion ist. Ein Irrtum der Menschheit. Eine große historische Mystifizierung, die in kaum
einem Fall funktioniert. Eine Utopie.
Davon war ich immer überzeugt und habe entsprechend gehandelt. Meine Beziehungen waren immer begrenzt. Ich hatte im Leben
nur wenige wichtige Lieben.
Die erste mit achtundzwanzig.
Chiara war die erste Frau, in die ich mich verliebt habe. Sie war fünfundzwanzig und wohnte noch bei ihren Eltern. Sie hatte
gerade ihr Biologiestudium beendet und wollte irgendwo in Italien in die Forschung gehen. Jetzt lebt sie in Kanada.
Nach einer Woche waren wir unzertrennlich, verbrachten den ganzen Tag zusammen. Wir schliefen jeden Tag miteinander. Sie übernachtete
fast immer bei mir. Damals lebte ich in einer Einzimmerwohnung in Colle Oppio.
Nach sechs Monaten erlaubte uns ihr Vater Gianvito, ein sehr netter, aber etwas altmodischer Kalabrier, dass seine einzige
Tochter zu mir zog, auch dank der guten Worte, die Chiaras Mutter für uns einlegte.
Schon bei unserem ersten Kuss war mir klar gewesen, dass ich mich in sie verliebt hatte.
Das war auf einer Party irgendwo in der Gegend vomCampo de’ Fiori. Es war tief in der Nacht und das Fest noch immer in vollem Gange.
Sie hatte mir auf Anhieb gefallen. Sie sah aus wie Wynona Rider, nicht ganz so hübsch, aber vom Typ her. Wir hatten uns den
letzten Tropfen Gin und das letzte saubere Glas geteilt. Wir hatten geredet und viel gelacht. Dann, auf dem Balkon dieser
komischen Wohnung, deren Besitzer weder ich noch sie kannten, küssten wir uns. Danach passierte ein paar Tage lang gar nichts.
Drei Tage später schliefen wir zum ersten Mal miteinander. Und hörten die zwei folgenden Jahre nicht mehr damit auf.
Laut Statistik endet das Verliebtsein in neunzig Prozent der Fälle nach einem Jahr. Bei neunzig Prozent der verbleibenden
zehn Prozent hört das Verliebtsein nach zwei Jahren auf. Wir lagen also im Mittel. Ich hielt es mit ihr nicht mehr aus, und
sie hielt es mit mir nicht mehr aus. Nach dem x-ten Streit trennten wir uns.
Im Übrigen war mir Chiara später, als meine Eltern starben, eine große Hilfe. Einmal haben wir damals auch miteinander geschlafen,
aber es war das einzige und schlechteste Mal. In den vier darauffolgenden Jahren haben wir noch Weihnachtswünsche ausgetauscht.
Dann, als ich Cristiana kennenlernte, ließen wir auch das sein.
Mit Cristiana lief es ein wenig besser: fast drei Jahre lang große und wilde Liebe.
Sie war
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