Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
Hosentaschen. Er war hier, weil er Clarke mochte, weil er ihn sehen wollte, den armen Kerl. Helfen konnte ihm das natürlich nicht, in seinem Zustand. Aber darum ging es nicht. Vielleicht war es eine hohle Geste, aber dennoch ein Zeichen ihrer Freundschaft und des Respekts.
Sie zog ein Taschentuch aus der Handtasche und putzte sich die Nase. Ihr Blick blieb an dem Motorradhelm hängen, den Tartaglia sich unter den Arm geklemmt hatte. »Blöder Idiot. Warum musste er losziehen und sich dieses blödsinnige Motorrad kaufen? Er war seit Jahren nicht mehr gefahren.«
Ihr Tonfall klang bitter, und Tartaglia fragte sich, ob sie ihm persönlich die Schuld gab, weil er Clarkes Freund war und der einzige in der Mordkommission, der Motorrad fuhr. Er dachte an seine leuchtend rote Ducati 999 auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus und hatte fast ein schlechtes Gewissen. Aber wenn Sally-Anne glaubte, er habe Clarke auf Abwege geführt, war sie im Irrtum. Vielmehr drängte sich das Wort Midlife-Crisis auf. Zumindest war das der Spruch, der im Büro die Runde machte. Fast auf den Tag genau sechs Monate, nachdem seine Frau ihn wegen ihres Yogalehrers verlassen hatte, war Clarke zu den Weight Watchers gegangen und ins Fitnessstudio eingetreten. Danach das Motorrad, die Kontaktlinsen, die grellbunten Hemden und die Lederjacke. Womit er in Kombination mit dem Siebzigerjahre-Schnauzer, den er sich abzunehmen weigerte, immer mehr ausgesehen hatte wie einer von den Village People. Als alle gerade anfingen sich zu fragen, ob Clarke bald sein Coming-Out haben würde, war Sally-Anne auf der Bildfläche erschienen, die genau genommen seine Tochter hätte sein können, und seine zweite, kurze Episode als Single war vorüber. Clarke wusste sehr gut, was seine Kollegen über ihn dachten, aber offensichtlich war es ihm egal gewesen. Er war glücklich und mit der Welt im Reinen. Im Grunde war das das Einzige, was zählte, dennoch hatte Tartaglia nicht umhin gekonnt, sich Sorgen zu machen, dass Clarke am Ende leiden könnte.
Sally-Anne sah ihn noch immer an, die Handtasche fest umklammert. »Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass er doch noch die Augen aufmacht. Mehr will ich gar nicht. Ich will nur wissen, dass er immer noch da ist, noch ganz der Alte, meine ich. Mit allem anderen werden wir schon fertig, wir beide.«
Es klang aufrichtig, und er war überrascht. Hatte er sich in ihr getäuscht? Liebte sie Clarke wirklich?
»Hast du schon mal daran gedacht, ihm Musik vorzuspielen?«, fragte er in seiner Verlegenheit, um irgendetwas Nützliches zu sagen. »Irgendein Stück, das er kennt. Soll ja manchmal helfen.«
»Keine schlechte Idee. Alles ist einen Versuch wert, bei seinem Zustand. Aber mit einem Walkman kommen wir wohl nicht weiter.« Sie schickte ein schiefes Grinsen in Clarkes Richtung. »Ich wüsste nicht, wie ich ihm den Kopfhörer aufsetzen sollte.«
Sie hatte Recht. Clarkes Augen waren kaum zu sehen, geschweige denn die Ohren. »Vielleicht so ein tragbares Gerät mit Lautsprechern?«
Sie nickte langsam, als hätte er etwas Bedeutendes von sich gegeben. »Zu Hause haben wir einen, in der Küche. Den bringe ich heute Abend mit, und ein paar CDs. Trev liebt Celine Dion, warum auch immer. Vielleicht kann der Klang ihrer Stimme ihn aufwecken, wenn ich es schon nicht schaffe.«
Tartaglia zog eine Grimasse. »Gott, ich hatte ganz vergessen, was für einen beschissenen Musikgeschmack er hat. An deiner Stelle würde ich etwas aussuchen, das er nicht ausstehen kann, Eminem oder 50 Cent zum Beispiel. Er ist doch immer auf Krawall gebürstet – am besten stellst du das Ding direkt neben ihn und drehst es voll auf, mal sehen, was passiert. Wenn das nicht hilft, weiß ich auch nicht weiter.«
Sie lächelte wehmütig. »Ich kann es mir bildlich vorstellen, wie er mich anschreit, ich soll den Mist abstellen. Das wär‘schön, oder?«
Sie schaute hoch in seine Augen und suchte nach einer Ermutigung. Ihr Gesicht hatte sich kurz aufgehellt, aber die Tränen waren noch immer nicht fern. Trotz ihres Make-ups und des schicken Kleids sah sie aus wie ein junges Mädchen. Sie zögerte, den Kopf leicht zur Seite gedreht, als wollte sie noch etwas sagen. Doch dann berührte sie ihn nur kurz am Arm und ging an ihm vorbei, ihre unfassbar hohen Absätze quietschten auf dem Linoleum.
An der Tür schaute sie noch einmal zu ihm zurück. »Vielleicht sehen wir uns morgen. Wenn sich vorher etwas tut, sage ich dir Bescheid.«
Als die Tür hinter ihr ins Schloss
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