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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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vermacht, wo soll da der Unterschied sein? Und die Kerzenschlucker haben ja auch ihre Altenbetreuung. Und so haben wir auf einmal mehr als doppelt so viele Testamente gehabt als früher. So haben wir den Rettungsbund zwei Jahre lang auf Abstand gehalten. Aber dann ist er uns wieder näher gerückt."
    Der Brenner hat sich immer noch gewundert, daß der Lungauer keine Wörter mehr verwechselt hat. Hat er sich vorher wirklich die ganze Zeit blöd gestellt? Oder ist es nur die momentane Konzentration gewesen? Oder ist es womöglich am Brenner selber gelegen, daß er die falschen Wörter schon automatisch korrigiert hat?
    Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Wie der Lungauer dann weitererzählt hat, hätte der Brenner viel darum gegeben, wenn sich alles nur als eine krankhafte Wörterverwechslung herausgestellt hätte.
    "Das Problem war, daß wir am eigenen Ast gesägt haben. Je besser wir gearbeitet haben, um so weniger Leute sind gestorben. Um so seltener haben wir geerbt. Aber dann sind auf einmal drei riesige Testamente in einem Monat fällig gewesen.
    Normalerweise waren drei Testamente in einem Jahr schon viel.
    Und im nächsten Monat vier Testamente. Immer bei Fahrten, die der Bimbo mit dem Junior gemacht hat."
    Vielleicht ist alles nur eine gigantische Wörterverwechslung, hat sich der Brenner noch an einen Strohhalm geklammert. Aber es heißt nicht umsonst im Sprichwort: Du sollst dich nicht an einen Strohhalm klammern.
    Weil wenn der Lungauer "sterben" gesagt hat, hat er nicht stärken gemeint, sondern sterben. Wenn er "einschläfern" gesagt hat, hat er einschläfern gemeint, nicht gut zureden. Und wenn er "umbringen" gesagt hat, hat er umbringen gemeint und nicht retten.
    "Dann sind drei in einer Sache gestorben", hat der Lungauer gesagt.
    "Drei in einer Sache?"
    "Zwei sogar an einem Tag. Und die dritte noch in derselben Sache."
    Woche. Der Brenner hat sich gefragt, ob es eine Regel gibt, nach der der Lungauer die Wörter einmal verwechselt und einmal nicht verwechselt. Aber siehst du, die großen Fragen schiebt man auf die lange Bank, weil es immer etwas zu fragen gibt, was einem momentan wichtiger vorkommt: "Was ist die Todesursache gewesen?"
    "Immer dieselbe Sache", hat der Lungauer gesagt. Ohne mit der Wimper zu zucken, hat er jetzt einfach das Wort "Sache" für Sache verwendet. "Sie wissen ja selber, daß eine Scheißhäusltour wie die andere ist."
    Scheißhäusltour, ich glaube, so krank kann man gar nicht sein, daß man dieses Wort vergißt.
    "Dialyse oder Zucker einstellen", hat der Brenner gesagt.
    "In diesem Fall Zucker", hat der Lungauer geantwortet. "Der Bimbo hat die alten Damen, die er ins Krankenhaus gebracht hat zum Zuckerwert-Einstellen, einfach an den Tropf gehängt."
    "Das machen wir doch immer bei einem akuten Zuckerschock", hat der Brenner zuerst nicht begreifen wollen.
    "Sicher. Aber im Tropf vom Bimbo ist Zuckerwasser gewesen."
    Der Brenner hat nur leise vor sich hin gepfiffen. Nicht so, wie man pfeift, weil man gerade etwas Sensationelles gehört hat.
    Sondern seine Melodie. Du weißt schon.
    Aber er hat so leise gepfiffen, daß man nichts gehört hat, praktisch Pantomime. So wie einer pfeift, der sich fürchtet, jemanden aufzuwecken. Praktisch schlafende Hunde. Aber besser wäre natürlich, gar nicht zu pfeifen bei einem schlafenden Hund. Praktisch Bluthund.
     

14
    Und dann natürlich hinaus aus dem Zimmer. Hinaus aus der Wohnung. Hinaus aus dem dreiundzwanzigstöckigen Spießerturm. Hinaus aus dem Wohnpark. Und hinein in das Taxi, das sich der Brenner noch vom Telefon der Lungauerin aus bestellt hat.
    Während er noch überlegt hat, an wen ihn die Tonbandstimme von der Taxivermittlung erinnert, ist ihm das ausgebleichte Foto neben dem Telefon aufgefallen. Ein kraftstrotzender junger Mann, ein bißchen, wie sie in den alten Schwarzweißfilmen die gesunden Bauernburschen dargestellt haben.
    "Ist das Ihr Mann?" hat er die Lungauerin gefragt, weil sich die Taxivermittlung immer noch nicht gemeldet hat.
    "Mein Sohn."
    "Sie haben also noch einen -"
    Um Gottes willen. Vorher denken und dann reden, das ist eine alte Regel. Und der Brenner wäre jetzt natürlich in einer besseren Position gewesen, wenn er sich an diese Regel von seinem Lateinlehrer gehalten hätte. Weil mitten im Satz ist ihm beides gleichzeitig eingeschossen: Die Telefonstimme hat ihn irgendwie an seine Halbschwester erinnert, die nach Berlin hinauf geheiratet hat, wie er zwölf Jahre alt war. Einen gewissen Gunter Schmitt.

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