Komm, suesser Tod
zugeschaut, wie sie ihre Wörter ausgetauscht haben. Sein gesundes Aug ist hin und her gewandert, immer zu dem, der gerade gesprochen hat. Dem Brenner ist vorgekommen, als wäre das gesunde Aug zum Ausgleich doppelt so groß geworden.
Wie der Brenner damals in die Polizeischule gegangen ist, hat es noch keine Videospiele gegeben, aber in den Spielhallen schon erste Video-Gehversuche. Und das Aug vom Lungauer hat ihn jetzt auf einmal an dieses Spiel erinnert, wo man mit einem weißen Punkt Tennis spielen hat können. Ein paar Monate lang ist er damals fast jeden Tag mit dem Irrsiegler Automatentennis spielen gegangen. Wenn man den Ball getroffen hat, hat es ein gewisses Geräusch gemacht, und wenn man ihn verfehlt hat, auch ein gewisses Geräusch. Der Irrsiegler ist später mit dem Motorrad verunglückt, und dann hat es sich mit dem Tennis automatisch aufgehört.
Wie der Brenner wieder aus der Hypnose von dem Lungauer-Aug erwacht ist, hat er ihn nach der Irmi gefragt.
"Sie ist mein Mantel gewesen."
"Er meint: seine Freundin", hat die Mutter übersetzt, und der Brenner hätte sie fast gebeten, daß sie ihn kurz mit ihrem Sohn allein läßt. "Wahrscheinlich sagt er Mantel, weil sie immer diesen weißen Krankenschwesternmantel angehabt hat."
"Oder weil er sich beschützt gefühlt hat", hat der Brenner gesagt. "Oder weil sie seine Kragenweite gewesen ist", hat er ein bißchen patzig nachgeschoben. "Oder weil sie ihn gewärmt hat. Oder weil ihm erst bei ihr der Knopf aufgegangen ist. Oder weil er als Bub einen Kamelhaarmantel gehabt hat und die Irmi so hübsche Höcker."
"Hahahahahaha!" hat es den querschnittgelähmten Lungauer fast aus dem Rollstuhl geschüttelt. Sein Gesicht ist die ganze Zeit so nach unten gehängt, daß er aus dem Winkel unmöglich viel von seiner Mutter sehen hat können. Aber er wird es schon gespürt haben, wie pikiert sie über die Äußerung vom Brenner geschaut hat.
Der Lungauer hat so gestrahlt, eigentlich unglaublich, daß man mit einem Aug so übers ganze Gesicht strahlen kann. Aber auf einmal hat er ganz herrisch mit der Stimme aufgestampft: "Zimmer!"
"Aber solange der Herr Brenner noch da ist, mußt du uns schon Gesellschaft leisten."
"Auch Zimmerbrenner!"
"Aber der Herr Brenner will sich doch noch mit mir unterhalten."
"Will sich mit mir unterhalten."
"Er will in seinem Zimmer mit Ihnen reden", hat sie dem Brenner übersetzt, als würde sie ihn auch für ein bißchen geistig behindert halten.
Ich weiß nicht, wieso ihr das so unangenehm war. Noch dazu, wo man im Zimmer vom Lungauer eine Aussicht gehabt hat, unglaublich, daß es so was geben kann. Dem Brenner ist erst jetzt richtig bewußt geworden, daß er hier im 23. Stock ist. Der Stephansdom, das Riesenrad, der Donauturm, das UNO-Gebäude sind kilometerweit entfernt gewesen, aber man hat den Eindruck gehabt, daß man direkt hingreifen kann. Ganz links hat man sogar die AKH-Türme gesehen. Und einen von den Flak-Türmen, die sie im Krieg hingestellt haben, und dann sind die schwarzen Monster nicht mehr weggegangen. Aber am auffälligsten war, daß es in ganz Wien fast kein Haus mehr gegeben hat ohne diese bunten Flecken drauf.
"Der Hundertwasser muß auch überall hinbrunzen", hat der Brenner gesagt. "Hahahahahaha!" Dem Brenner hat es einen Stich in die Rippe gegeben, so ansteckend ist das Gelächter von dem einäugigen Humorkönig gewesen. Beim Lachen lernst du ja die Leute am besten kennen. Weil ein gemeiner Mensch kann sich noch so gut verstellen, aber wenn du ihn zum Lachen bringst, lacht er gemein. Und ein Dummer lacht dumm. Und ein Verklemmter lacht verklemmt. Und ein Zyniker zynisch und ein Komplexler komplexlerisch, du siehst schon, da kann man alles durchprobieren, das stimmt einfach immer.
Aber ganz selten, daß du einen so lachen hörst wie den Lungauer. Praktisch das genaue Gegenteil von diesen Menschen, die überhaupt nichts zu lachen haben. Weil sie sind schön und gesund und gut angezogen und haben einen Haufen Geld und arbeiten bei einer Filmfirma oder Mediensache oder Architektur. Aber innerlich sind sie so leer, daß sie nur den Mund aufmachen müssen, und schon gibt es ein paar Tote wegen der Vakuum-Implosion, das ist meine Meinung!
"Zuerst habe ich geglaubt, daß Sie für den Junior arbeiten", hat der Lungauer auf einmal ganz ernst gesagt.
"Das stimmt schon." Der Brenner hat sich aber nur dumm gestellt. Er hat schon bemerkt, daß der Lungauer nicht darauf hinaus will, daß er als Fahrer für den Junior
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