Komm, suesser Tod
Herr Oswald in diesem Zustand seine Aufgabe gar nicht bewältigen wird.
Jetzt ist ihm nichts Besseres zur Beruhigung eingefallen als die Kassette, die ihm die Klara zum Abschied zugesteckt hat.
Aber wie die ersten Takte aus den Quadrophonie-Lautsprechern gekommen sind, hat der Brenner schon befürchtet, es war eine schlechte Idee. Weil das ist eine Musik, schon gewaltige Wirkung.
Obwohl sie ohne Verstärkeranlage spielen und ohne alles, keine Elektrogitarren, nichts, nur die Musik, so was gibt es heute nicht mehr. Jetzt natürlich - statt daß der Oswald mit dem Weinen aufhört, hat der Brenner aufpassen müssen, daß er nicht selber anfängt. Weil Erinnerung und alles.
Er hat ein bißchen leiser gedreht und dem Oswald erzählt: "Ich weiß jetzt, wer den Stenzl und die Krankenpflegerin erschossen hat."
Der Oswald hat aber überhaupt nicht reagiert und nur weiter vor sich hin gewimmert.
"Alle haben geglaubt, man hätte den Stenzl erschießen wollen. Und daß die Irmi dabei auch ums Leben gekommen ist wäre nur ein Unfall gewesen."
Der Oswald hat davon nichts wissen wollen. Soweit es der Sicherheitsgurt zugelassen hat, hat er dem Brenner den Rücken zugekehrt und aus dem Seitenfenster gestarrt.
"Komm, sühüßes Kreuheuz", hat der Tenor gesungen. Da hat die Klara schon recht gehabt: "süßes Kreuz", nicht "süßer Tod".
Wie er im Lauf von dreißig Jahren die beiden Wörter verwechselt hat, das hat den Brenner jetzt ein bißchen an den Lungauer mit seiner Aphasie erinnert. Aber natürlich, das entscheidende Wort hat er schon richtig gehabt. Weil irgendwo ganz hinten in seinem Hirn muß der Brenner schon die längste Zeit das süße Diabetikerblut im Visier gehabt haben. Schon lange, bevor er gewußt hat, daß der Bimbo seine Patientinnen, statt sie zu retten, mit einem Zuckerschock ins Jenseits befördert hat.
Aber ein bißchen ist ihm das jetzt schon selber unheimlich geworden, wie er überlegt hat, seit wann ihn die Melodie gequält hat. Weil das war nicht nur der Tag, wo er die Klara getroffen hat. Das war auch der Tag, wo ihm die zuckerkranke Frau Rupprechter erzählt hat, daß die Irmi in ihren Papieren geschnüffelt hat, sprich Testament. Dabei hat er die Geschichte damals gar nicht richtig registriert. Aber ganz hinten im Kopf muß er sie eben doch registriert haben!
"In Wirklichkeit ist es aber gar nicht um den Stenzl gegangen", hat der Brenner weitererzählt. "Die Irmi ist von vornherein das Ziel gewesen. Und nur um die Spur zu verwischen, hat jemand durch den Stenzl hindurchgeschossen."
Der Brenner hat aus dem Augenwinkel heraus genau gesehen, wie es den Oswald gerissen hat. Er hat versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber vor lauter Konzentration darauf hat er zu heulen aufgehört, und damit hat er sich natürlich erst recht verraten.
"Mir doch egal", hat der Oswald zwar noch getrotzt und demonstrativ beim Seitenfenster hinausgeschaut. Aber am Demonstrativen hast du es natürlich schon erkennen können.
"Ich habe Ihnen doch von meinem Kollegen erzählt, dem Bimbo."
Keine Reaktion. Aber eben: zu demonstrativ.
"Die Sache im Kellerstüberl", hat der Brenner weiter gebohrt, "wo er mit der Tochter von einem anderen Kollegen."
"Sie sind ja selber ein Spanner!" bockt der Herr Oswald zum Fenster hinaus.
"Stört Sie das?"
"Zumindest renne ich nicht zu Ihrer Frau und binde es ihr auf die Nase."
"Aber Ihre Frau war doch richtig stolz auf Sie."
"Im letzten Moment", hat der Herr Oswald geflüstert. Und dann hat er sich auf seinem Beifahrersitz zum Brenner hingedreht und ihn angeschrien: "Im letzten Moment! Im letzten Moment!"
Der Brenner ist froh darüber gewesen, sprich reinigendes Gewitter. Langsam hat der Herr Oswald den Schock überwunden, daß ihm seine Frau fast auf sein Geheimnis gekommen wäre.
"Es ist ja gut ausgegangen", hat der Brenner versöhnlich gesagt.
"Gott sei Dank."
Und dann zweiter Versuch vom Brenner: "Aber Sie erinnern sich an den Bimbo?"
"Natürlich erinnere ich mich! Glauben Sie, so eine Geschichte vergesse ich?" "Eben."
"Komm, sühüßes Kreuheuz", hat das Autoradio immer noch gebettelt.
Und da muß man ganz ehrlich sagen: Der Johann Sebastian Bach hat schon gewußt, warum er so viele Wiederholungen gemacht hat in seinen Liedern. Der hat seine Pappenheimer schon gekannt, daß man die Dinge immer tausendmal sagen muß, bis die Leute es einmal begreifen.
Weil jetzt hat der Brenner erst kapiert, warum er den Text des Liedes verwechselt hat. Warum er wie der Lungauer
Weitere Kostenlose Bücher