Komm wieder zurück: Roman
sie es mit nur einem Messer mit zwei Jungen aufnehmen sollte. Sie rannte Calder davon und suchte in dem seichten Straßengraben nach einem Ast, der groß genug wäre. Frische Schweißbäche liefen ihr an den Schläfen herunter.
Calder rannte, um sie einzuholen. Er war überhaupt nicht dumm, wie manche glaubten. Tatsächlich war er klüger als alle um ihn herum, besonders wenn es galt, etwas in der heißen Sonne Floridas wachsen zu lassen. Er kannte den Unterschied zwischen Nimbus- und Stratuswolken, nur so zu seinem Privatvergnügen, und manchmal hatte er den Kopf so voller Tertiärwurzeln und Fotosynthese, dass er nicht bemerkte, was vor seiner Nase war.
Calders Lider flatterten. Er hob seine Hände an die Hüften, öffnete und schloss sie wie klebrige Fallen.
»Der hier!« Annie zog einen Ast auf die Straße, der zweimal so dick wie ein Baseballschläger und etwas kürzer als eine Harke war, und schulterte ihn. Der süße Pfirsichduft unter ihren Fingernägeln vermischte sich mit Borke, Erde und Moder. Die Pinckneys hatten den Mund ständig voller Spuckekugeln. Sie hänselten Mädchen mit Zahnspangen und schubsten Jungen, deren Eltern ein bisschen Geld hatten, auf die gebohnerten Flure. Im Winter, wenn alle Fenster geschlossen waren, hatte Annie sie im geheizten Raum gerochen, bis ihr übel wurde. Jahrelang hatte sie sich diesen Augenblick vorgestellt.
»Hey, Jungs. Wie gehts denn so?«, sagte sie, als die Brüder sie einholten.
»Heute sollen es achtunddreißig Grad werden.« Calder zwinkerte so stark, als ob er absichtlich eine Schau abziehen wollte.
Gabe inszenierte einen Anfall, als stünde seine Haut in Flammen. Er schlug sich selbst, als wollte er sie löschen. Es sah so aus, als ob es wehtäte. »G-g-g-gut«, antwortete Gabe auf Annies Frage, obwohl er Calder dabei ansah, als brächte der ihn zum Stottern. Er und Josh brachen in Lachen aus. »G-g-g-gut!« Er schwang die Hüften und fuchtelte mit den Armen in der Luft.
Calder wich aus und ging wieder zu Annie. Seine Schulter schoss zu seinem Ohr hoch, und er kniff die Augen zusammen, und ihr war klar, dass er versuchte, stillzuhalten.
»Du siehst auch gut aus«, sagte Annie. »Für einen Idioten. Tja, ich würde mal sagen, du gibst das beste Beispiel für einen Idioten ab, Gabe Pinckney.«
Gabe legte seine Hände auf die Hüften, und endlich ging ihr auf, welchen Tieren die Pinckneys ähnelten. Großen Tümmlern. Zu viel Augenlid und eine Nase, die sich wie eine Flasche aus dem Gesicht beulte.
»Wir überlegen, ob wir uns einen Job suchen«, sagte Josh. »Pfirsiche pflücken ist anscheinend kinderleicht. Was meinst du, Gabe? Verdienen wir uns ein bisschen Taschengeld?«
»Es ist nämlich so, man muss dabei …« Calder schniefte einmal, zweimal, dreimal, »auf den Schatten achten, der auf die Zweige fällt.«
»Ach was! Sieh mal einer an. Kann ja nicht sooo schwer sein, wenn ein Behinderter das schafft«, sagte Gabe.
Calder verrenkte den Hals und zwinkerte. »Lass uns nach Hause gehen«, sagte er schließlich.
»Ja, lass uns nach Hause gehen«, äffte Gabe ihn nach. »Aber ruckizucki, damit ich schnell weiterzucken kann.«
Das schien das Komischste zu sein, was Josh je gehört hatte. Annies Gesicht brannte vor Scham. Der plumpe Witz sollte sie treffen.
Josh juchzte und schrie und krümmte sich. Seine Begeisterung schien Gabe anzustecken. Sie waren beide so in ihre hysterischen Anfälle vertieft, dass keiner den Ast zu bemerken schien, der ihnen links und rechts ins Gesicht schlug. Annie zwang sie in die Knie.
Josh streckte die Hände aus und schüttelte den Kopf in schnellen kleinen Stößen, als wollte er verhindern, dass sich der Horizont verschob. Blut tropfte aus seiner Nase.
Calder duckte sich und krabbelte auf allen vieren rückwärts, klaubte Schotter vom Boden und schleuderte ihn auf die Jungen. Die Steinchen prallten wie Gummibälle an ihnen ab.
Nicht in ihren kühnsten Träumen hatte Annie jemals so etwas erlebt: Der tiefblaue Himmel, das Grün und Braun der Bäume, das nasse rote Blut in den weißen Gesichtern der Jungen, alles erschien ganz scharf, als ob für Annie im bisherigen Leben die Farben matt und verschwommen gewesen wären und sie diese erst jetzt so wahrnehmen könnte, wie man sie sehen sollte. Auch ihr Geist schärfte sich und rastete wieder ein. Ein Teil von ihr war sich wohl bewusst, dass man mit solchen Schlägen auf den Kopf einen Menschen töten konnte, doch der Gedanke daran brachte sie nicht dazu, den Ast
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