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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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zurückgegeben – für ihre Geschenke, ihre Freundschaft, ihr Verständnis und ihre unermüdliche Bereitschaft, sich mit meinen Problemen zu befassen? »Helens beste Freundin« hatte Mr Tuttle mich genannt. Er hatte sich geirrt. Helen war mir eine gute Freundin gewesen, aber ich ihr nicht.
    Was mochte in der letzten Nacht passiert sein? Es gab so viele offene Fragen und so wenig Fakten, die Rückschlüsse zuließen. Helen war im Kino gewesen. Sie war mit einem Taxi nach Hause gefahren. Sie war ausgestiegen, konnten wir zumindest vermuten, und hatte den Fahrer bezahlt – und was dann? Der Park lag schräg gegenüber von ihrem Haus. Warum hätte sie die Straße überqueren und dort hingehen sollen? Es war kalt gewesen und ziemlich windig. Der Mond hatte nicht geschienen. Warum war sie also in den Park rübergegangen und im Stockdunklen einen Pfad entlanggelaufen?
    Was hatte Helen dort gemacht? Würde sie es mir je erzählen können?
    Natürlich, versicherte ich mir. Natürlich wird sie das.
    Aber ich war mir nicht sicher, ob ich das auch wirklich glaubte.
    Auf der Fähre schlief Jeff ein. Er rutschte auf seinem Sitz herunter und lehnte den Kopf an meine Schulter. Als wir anlegten, wurde er schlagartig wach, zuckte zusammen und richtete sich kerzengerade auf. Es war ihm peinlich.
    Â»Sorry«, murmelte er.
    Â»Schon in Ordnung«, sagte ich. »Du musst völlig fertig sein.«
    Â»Komm doch zum Essen mit zu uns«, sagte Mom.
    Â»Nein danke«, sagte Jeff. »Mein Dad fragt sich bestimmt schon, was los ist. Außerdem bin ich gar nicht hungrig.« Er machte eine Pause, dann sagte er: »Trotzdem, vielen Dank.«
    Â»Du bist uns immer willkommen«, sagte Mom.
    Wir gingen zurück nach Cliff House und Mom kochte das Abendessen. Ich saß am Tisch, ließ meine Geschwister plappern und schob mein Essen mit der Gabel auf dem Teller herum. Dann schaute ich über den Tisch zu dem Platz zwischen Neal und Dad, wo Helen mal gesessen hatte, und ich versuchte sie mir dort vorzustellen. »Ich hab es genossen«, hatte sie mir später gestanden. »Ich bin Einzelkind und bei uns zu Hause ist es manchmal ganz schön langweilig.« Warum hatte ich sie nicht noch mal zu uns eingeladen? Das mache ich, sobald es ihr besser geht , schwor ich mir. Wenn sie will, kann sie jedes Wochenende mit auf die Insel kommen .
    Die Einsamkeit überwältigte mich. Hier, inmitten der Menschen, die ich am meisten liebte, brauchte ich noch jemand anderen.
    An diesem Abend lag ich im Bett und wartete auf Lia. Stumm rief ich nach ihr: »Komm, bitte, komm doch!« Aber das Zimmer blieb leer, und es war nichts außer den Wellen zu hören, die krachend an die Felsen schlugen.
    Am Ende muss ich doch eingeschlafen sein, denn ich habe sie nicht wirklich gesehen, doch irgendwann in dieser Nacht hatte ich einen Traum.
    Lia kam darin vor.
    Â»Ich bin da«, sagte sie. »Ich werde immer da sein. Halt an mir fest, Laurie. Ich bin jetzt deine einzige Freundin.«
    Von diesem Moment an schlief ich friedlicher, und als ich aufwachte, lagen die schmerzlichen Ereignisse des vorangehenden Tages wie in einem Nebel hinter mir. Es waren Bilder, die mit fettigen Fingern verwischt worden waren … alles wirkte verzerrt und unwirklich.

ELF
    DER DEZEMBER SCHRITT VORAN und Weihnachten rückte unweigerlich näher.
    Weihnachten ist eine feste Größe. Es lässt sich nicht verlegen. Egal, was im Laufe des Jahres auch passiert sein mag, egal, welche Veränderungen es auch gegeben hat, am Ende steht das Weihnachtsfest wie der Punkt nach einem langen verschachtelten Satz.
    Â»Es ist vorbei«, sagt Weihnachten uns. »Jetzt wird es Zeit, tief durchzuatmen, die Vergangenheit hinter uns zu lassen und einen neuen Anfang zu machen.«
    Ich habe Weihnachten immer geliebt, mit allem, was dazugehört. Wie es aussieht, wie es klingt, wie es duftet. Aber dieses Jahr konnte ich einfach nicht in Stimmung kommen. Die Weihnachtslieder gingen ungehört an meinen Ohren vorbei. Das Lametta glitzerte, ohne dass ich mich daran freute. Der traditionelle Weihnachtsbaum, der vom Festland rübergebracht und von Megan und Neal mit dem vertrauten selbst gebastelten Weihnachtsschmuck dekoriert worden war, wirkte fehl am Platz in unserem Wohnzimmer.
    Â»Nimmst du mich mit zum Einkaufen?«, bettelte Megan. Das war unser ganz besonderes Ritual, das wir seit Kindergartenzeiten

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