Komm zu mir, Schwester!

auf seinem Motorrad die Beach Road entlangrasen sah. Eines der Sommermädchen hatte aufgeregt kreischend hinter ihm gesessen, die Arme fest um seine Taille geschlungen. Er hatte sich zu ihr umgeschaut, gelacht und ihr irgendwas zugerufen, das ich beim Röhren der Maschine nicht verstanden hatte.
    Wie lange mochte es her sein, seit er das letzte Mal gelacht hatte?
    Â»Sag deinen Eltern lieber, wo du hingehst«, sagte er schroff. »Sie werden wissen wollen, wo sie dich suchen sollen, wenn du nicht wieder zurückkommst.«
    Â»Warum sollte ich denn nicht wieder zurückkommen?«
    Â»Deine Freundin Helen ist ja auch nicht zurückgekommen.« Er hielt mir die Tür auf, als wolle er mich zu einer Mutprobe herausfordern.
    Â»Dummes Zeug.« Ich ging an ihm vorbei in die Nacht hinaus.
    Jeff folgte mir und ich zog die Tür hinter mir zu. Ohne zu reden, warteten wir darauf, dass unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Nach und nach wurde die Welt heller, und ich stellte fest, dass wir einen Mond hatten, eine schmale Sichel, die die Wolkendecke zerriss. Die Luft war sauber und kalt und die Nacht ganz still.
    Â»Helen hatte keinen Mond«, sagte Jeff. Das hatte ich auch gerade gedacht. »In diesem Park muss es stockdunkel gewesen sein. Was zum Teufel hat sie da bloß gewollt?«
    Â»Keine Ahnung«, sagte ich. »Das weiß keiner.«
    Â»Ihre Mutter ist draufgekommen. Zumindest glaubt sie das.«
    Er stiefelte los und ich hielt Schritt. Der Pfad, der an Cliff House vorbeiführte, war mir so vertraut, dass meine Füße ihn in- und auswendig kannten. Aber Jeff stolperte, und ich griff nach seinem Arm, damit er sich fangen konnte.
    Â»Was meinst du damit?«, fragte ich.
    Â»Sie hat mich heute Abend angerufen. So hab ich von der Sache mit Helen erfahren. Sie sagte, sie würde sie hier wegbringen, an ›einen sicheren Ort‹, wo ich nicht an sie rankommen könnte.«
    Â»Das hat Mrs Tuttle gesagt?«, platzte ich heraus. »Aber das stimmt doch überhaupt nicht. Sie lassen Helen ins Duke Hospital verlegen, weil es da Spezialisten gibt, die ihr helfen können. Das hat Mr Tuttle mir selbst erzählt.«
    Â»Mrs Tuttle denkt, dass ich es getan habe«, fuhr Jeff fort. »Sie glaubt, dass ich mit Helen im Park gewesen bin.«
    Â»Das kann sie doch nicht ernsthaft glauben.« Ich war empört. »Der Taxifahrer muss doch irgendwelche Aufzeichnungen über die Fahrten haben, die er in dieser Nacht hatte. Er wird doch wissen, ob er einen Fahrgast hatte oder zwei. Wenn seine Angaben nicht mit deiner Geschichte übereinstimmen würden, wäre die Polizei dem doch nachgegangen.«
    Â»Sie hat gesagt, sie habe Helen vor mir gewarnt. In dem Augenblick, in dem sie mich zum ersten Mal gesehen hat, wusste sie schon, dass ich nichts Gutes im Schilde führte, behauptet sie. ›Aber ich konnte sie nicht aufhalten‹, hat sie gesagt. ›Du hast Helen leidgetan. Sie wollte nett zu dir sein und dann bist du über sie hergefallen.‹«
    Â»Oh, Jeff!« Ich hielt seinen Arm fester, denn ich fühlte seinen Schmerz mit und hätte ihn gern gelindert. »Das hat sie doch nicht ernst gemeint. Sie muss nur jemandem die Schuld geben können. Helen ist nur mit dir ausgegangen, weil sie dich mochte. Einen anderen Grund hat sie nicht gehabt.«
    Â»Ich hätte sie nicht allein nach Hause fahren lassen dürfen.«
    Â»Du hattest doch gute Gründe dafür. Woher solltest du auch wissen, dass sie nicht gleich ins Haus gehen würde?«
    Wir hatten das Ende des Pfades erreicht. Cliff House ragte hinter uns auf, solide und wie ein großer, dunkler Klotz, vor uns lagen die Felsen und dahinter das Meer. Der Mond lugte immer wieder zwischen den Wolken hervor und ließ seinen silbernen Schein auf den Pfützen glitzern, die auf den Felsen standen, und unter Seufzern schwappte das Meer rhythmisch rein und raus aus den Höhlen der Meerjungfrauen.
    Â»Du gehst da doch nicht mehr raus, oder?«, fragte Jeff plötzlich.
    Â»Auf die Felsen da, meinst du?« Der plötzliche Themenwechsel brachte mich durcheinander. »Das hab ich noch nie gemacht. Das hab ich dir doch schon mal gesagt.«
    Â»Komm mir bloß nicht damit, Laurie. Ich hab dich doch selbst da gesehen.«
    Â»Nein, hast du nicht«, beharrte ich. »Echt nicht.«
    Â»Ich weiß doch, was ich gesehen haben«, sagte Jeff. »Mittlerweile sollte ich wohl