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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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herrschte Stille. Dann fragte ich: »Darf ich sie sehen?«
    Â»Tut mir leid, nur Angehörige dürfen zu ihr«, sagte Mr Tuttle. »Nur ihre Mutter und ich stündlich für ein paar Minuten. Und was ist das schon? Wir stehen da, schauen sie an und gehen wieder raus. Wenn du rein dürftest, würde sie doch nicht wissen, dass du da bist.«
    Aber ich, dachte ich kläglich. Ich könnte ihr sagen, dass es mir leidtut, obwohl sie mich nicht hören kann. Es tut mir leid, dass sie einen Unfall hatte. Es tut mir leid, dass ich gestern so gemein zu ihr war.
    Plötzlich gab es nichts mehr, was noch zu sagen gewesen wäre.
    Â»Sie rufen uns doch sofort an, wenn sich ihr Zustand verändert, nicht wahr?«, fragte Mom. »Wir sind so betroffen, nicht nur Laurie, wir alle.«
    Â»Selbstverständlich rufen wir an, sobald wir etwas zu berichten haben.« Mr Tuttle stand vom Sofa auf. »Ich danke Ihnen beiden, dass Sie gekommen sind. Es bedeutet uns viel zu wissen, dass hier jemand Anteil nimmt.«
    Â»Dieser Junge«, sagte Mrs Tuttle, »ist der immer noch da draußen?«
    Â»Jeff?«, sagte Mom. »Ja, er sitzt draußen auf dem Flur. Als wir kamen, haben wir kurz mit ihm gesprochen.«
    Â»Er sollte nicht hier sein. Er hat nicht das Recht dazu.« Ihre Stimme klang scharf. »Wenn er nicht gewesen wäre, wäre das nie geschehen.«
    Â»Liebes … nicht …«, begann ihr Mann.
    Â»Hör auf damit, mir zu sagen, was ich nicht soll. Ich spreche nur aus, was Tatsache ist. Er ist mit Helen ausgegangen und hat sie nicht wieder nach Hause gebracht. Er hätte sich um sie gekümmert, wenn ihm etwas an ihr gelegen wäre. Und jetzt, wo es zu spät ist, drängt er sich auf und tut so, als würde er hierher gehören.«
    Â»Er drängt sich nicht auf«, wandte Mr Tuttle milde ein. »Ich habe ihn selbst angerufen und die Polizei hat ihn von der Insel rübergeholt.«
    Â»Aber was macht er jetzt noch hier? Er hat mit uns geredet, er hat mit der Polizei geredet. Warum geht er nicht? Haben wir uns noch nicht genug aufgeregt? Und warum ist Helen überhaupt mit ihm ausgegangen? So einen wie ihn brauchte sie wirklich nicht. Vielleicht rissen sich die Jungs nicht um sie, aber was macht das schon? Sie ist eine Spätentwicklerin. Das war ich auch. Viele Mädchen sind so, aber die geben sich doch nicht mit einem Jungen ab, der so ein Gesicht hat, einem Jungen, der aussieht wie der Teufel persönlich. Was auch immer Helen zugestoßen sein mag, er hatte die Hand im Spiel. Eine Mutter spürt solche Dinge.«
    Â»Das kann ich nicht glauben«, sagte ich. »Man kann doch einen Menschen nicht nach seinem Aussehen beurteilen. Nur weil er eine Brandverletzung im Gesicht hat …«
    Â»Das Aussehen kann einen Menschen nachteilig verändern«, fiel mir Mrs Tuttle ins Wort. »Wenn sich das Schicksal gegen einen Menschen wendet, so wie es bei Jeff der Fall war, kann er verbittern. Was er einmal hatte, wird er nicht wiederbekommen – und das lässt er dann an anderen aus. Dafür habe ich natürlich keine Beweise, aber ich schwöre es, von dem Moment an, in dem dieser Junge unser Haus betreten hat, wusste ich, dass er nichts Gutes im Schilde führte. Hinterher habe ich zu Helen gesagt: ›Vor dem solltest du dich lieber in Acht nehmen.‹ Sie hat nur gelacht. Sie wollte nicht auf mich hören. Und nun siehst du ja, was passiert ist.«
    Sie weinte jetzt, die kleinen, rauen Schluchzer zerrissen die Stille im Raum. Sie bedeckt ihr Gesicht mit den großen, sommersprossigen Händen, und ich dachte nur, dass dies auch Helens Hände hätten sein können, wäre der schwere goldene Ehering nicht gewesen.
    Ich konnte nichts weiter sagen.
    Mom musste genauso empfunden haben, denn sie sagte ganz ruhig: »Wir beten für sie. Bitte, rufen Sie uns an.«
    Â»Das machen wir«, sagte Mr Tuttle, aber seine ganze Aufmerksamkeit galt seiner Frau.
    Draußen auf dem Flur umarmte und drückte Mom mich heftig.
    Â»Mein Gott, Laurie«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Wenn du das gewesen wärst. Wie wären Dad und ich damit fertiggeworden?«
    Â»Sie wird doch überleben?«, fragte ich mit zittriger Stimme. Das war natürlich eine blöde Frage, Mom wusste ja auch nicht mehr über die Sache als ich, aber kindliche Gewohnheiten sind nun mal nicht so leicht abzuschütteln. Wenn Mom Ja sagte, würde

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