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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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denselben Nachnamen wie Kathy. Ob Lia von den Abbotts adoptiert worden war, so wie ich von den Strattons?
    Ich wurde jäh aus meinen Träumen gerissen, als Hagelkörner an die Balkontür prasselten. Auf den Ellenbogen gestützt konnte ich über den Balkon hinweg aufs Wasser schauen. Das Meer hatte die Farbe von Holzkohle und wallte auf wie ein Milchtopf vor dem Überkochen. So weit das Auge reichte, zogen sich lange, zackige Linien schäumender Wellen übers Wasser. Die Felsen konnte ich vom Bett aus nicht sehen, aber vorstellen konnte ich sie mir, glitschig und schwarz im eisigen Strudel der Brandung. Ich stellte mir den Felsvorsprung vor, auf dem Jeff und ich gekauert hatten, und schauderte.
    Mein Blick ging zur Uhr auf dem Nachttisch – und mir blieb die Luft weg. Es war schon nach acht! War ich wirklich so lange weg gewesen? So langsam begriff ich, dass bei diesen Astralreisen das Zeitgefühl verloren ging. Wenn Entfernungen innerhalb eines Augenblicks überwunden werden konnten, bekam das Konzept von Minuten und Stunden etwas Unwirkliches. Warum war denn keiner hochgeschickt worden, um mich zu wecken?
    Oder vielleicht war ich ja geweckt worden! Bei diesem Gedanken schoss ich panisch in die Senkrechte. Was, wenn mich Neal, wie so viele Male zuvor, wachrütteln wollte, damit ich rechtzeitig zur Schule kam … und ich nicht reagiert hatte. Er hätte bestimmt einen Höllenschreck gekriegt.
    Ich kroch schnell aus dem Bett, schnappte mir meinen Bademantel von der Lehne des Schreibtischstuhls und lief raus auf den Flur. Das Telefon klingelte. Zwei Mal und dann verstummte es. Ich rannte die Treppe runter, und als ich auf der Höhe des Wohnzimmers angekommen war, hörte ich Stimmen aus der Küche. In ganz normalem Ton. Niemand klang verstört oder ängstlich.
    Ich seufzte erleichtert und setzte den Rest des Weges entspannter fort, dabei knöpfte ich mir den Bademantel zu.
    Als ich in die Küche kam, steckten Neal und Meg immer noch im Schlafanzug, sie saßen am Frühstückstisch und aßen French Toast.
    Mom stand am Herd und rührte einen Löffel Instantkaffee in eine Tasse heißes Wasser. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln.
    Â»Hallo, Schatz. Hat der Hagel dich geweckt?«
    Â»Heute fällt die Schule aus!«, jubelte Neal. Und Megan sagte: »Jeff hat gerade angerufen.«
    Â»Keine Schule«, wiederholte ich. »Jeff …« Ich versuchte die einzelnen Informationen abzuspeichern und zu ordnen.
    Â»Es kam in den Nachrichten«, sagte Neal. »Wegen des Sturms. Der wird angeblich schlimmer, und Mr Ziegler hat Angst, dass wir drüben festsitzen könnten, wenn er uns rüberfährt.«
    Â»Das ist nur vernünftig«, sagte ich. »Und was ist mit Jeff?«
    Â»Ich hab gesagt, du schläfst noch«, sagte Meg. »Und er sagte, du sollst ihn gleich anrufen, wenn du aufwachst.«
    Â»Möchtest du Toast?«, fragte Mom. »Nein, ruf lieber erst Jeff an. Ich glaube nicht, dass das Telefon noch lange funktioniert.«
    Â»Ich rufe von oben an«, sagte ich.
    Â»Geheimnisse?« Plötzlich war Megs Interesse erwacht.
    Â»Wenn ich es dir sagen würde, wären es keine mehr«, sagte ich und ging hoch ins Wohnzimmer.
    Ich hatte den Finger schon zum Wählen ausgestreckt, da ging mir schlagartig auf, dass ich gar nichts zu berichten hatte. Ich wusste, was er erwartete: einen vollständigen Bericht meiner Suche nach Lia. Und das wäre eine schöne Enttäuschung, wenn ich zugab, dass ich total versagt hatte. Ich hatte weder mein Ziel erreicht noch wichtige neue Informationen zu Tage gefördert. Die einzige echte Entdeckung war der Name im Jahrbuch gewesen und mit dem konnte ich vorerst gar nichts anfangen.
    Aber stimmte das wirklich? Hatte ich gar nichts erfahren? Ich war bei Lia zu Hause gewesen. Ich war durch Räume gegangen, die sie einmal bewohnt hatte. Ich hatte ihre Adoptiveltern gesehen und das Umfeld, in dem sie gelebt haben musste. Irgendetwas von Bedeutung musste ich dabei doch mitbekommen haben!
    Ich zwang mich, in Gedanken noch einmal dahin zurückzugehen, und konzentrierte mich auf die Details. Die Berge, die trockene, klare Luft, die Navajo-Decke, der Zeitunterschied von zwei Stunden, alles deutete darauf hin, dass die Abbotts im Südwesten des Landes lebten. Aber in welcher Stadt, in welchem Bundesstaat? Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich es wissen sollte. Ich hatte etwas

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