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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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würden mir nie glauben. Diese Einsicht überkam mich mit einer hoffnungslosen Endgültigkeit. Ihre Kreativität – die sie doch eigentlich für so etwas empfänglich machen sollte – verhinderte das. Meine Eltern waren es gewohnt, Welten für andere Menschen zu erschaffen, und die gestalteten sie handwerklich perfekt und immer so, dass das von ihnen Erschaffene nicht mit der Realität verwechselt werden konnte. Geschichten waren Fiktion, Megs gefrorenes Badewasser, Neals Drachenschwadron … Ich hatte das Spiel zu weit getrieben, als ich behauptet hatte, das Unglaubliche könne wahr sein.
    Plötzlich vermisste ich Jeff. Er war der Einzige, mit dem ich reden konnte, und ich sehnte mich so verzweifelt nach ihm, dass ich versucht war, rauszulaufen und es mit dem Sturm aufzunehmen.
    Â»Ich hab keinen Hunger«, sagte ich. »Ich nehme mir später was. Ich gehe hoch und lese eine Weile.«
    Ich war schon fast die Treppe hoch, als ich hinter mir Schritte hörte.
    Â»Laurie?«, sagte Meg. »Ist ›Lia‹ der Name von diesem Gespenst?«
    Ich drehte mich um. Das runde Gesicht, das zu mir aufschaute, war ernst und besorgt, die hellen Brauen waren zusammengezogen. Sie runzelte die Stirn.
    Â»Glaubst du mir etwa, Meg?«
    Â»Ja«, sagte sie. »Aber ich versteh nicht, warum sie unbedingt will, dass du lernst, wie du hier weggehen kannst.«
    Â»Nun, weil … weil …« Zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass mir darauf keine Antwort einfiel. Ich hatte Lias Hartnäckigkeit akzeptiert, ohne sie zu hinterfragen. »Versuch es noch mal, Laurie«, hatte sie immer gesagt. »Ob du nun müde bist oder nicht, du musst es weiter versuchen.« Warum war es ihr so wichtig gewesen? Das hatte ich damals nicht gewusst und ich wusste es auch jetzt nicht.
    Â»Das macht mir Angst«, sagte Megan.
    Â»Sie kann mir nichts tun, Süße.« Ich ging drei schnelle Schritte die Stufen hinunter, nahm sie in die Arme und zog ihren stämmigen Körper fest an mich. »Sie ist weit weg und sehr krank. Der Teil von ihr, der hierherkommt, ist nur der Gedankenteil. Damit kann sie Menschen nicht verletzen. Es ist wie … na, vielleicht so was wie ein Schatten. Ein Schatten kann ja nichts machen, oder?«
    Â»Nee, kann er wohl nicht«, sagte Meg. Aber sie schien nicht überzeugt zu sein. »Du bist trotzdem vorsichtig, okay?«
    Â»Klar doch.« Diesen zuversichtlichen Ton dort auf der dunklen Treppe habe ich immer noch im Ohr. Und hinter meiner Stimme das Geräusch vom Wind und dahinter …
    War da noch ein anderes Geräusch? Ein unterdrücktes? So als würde jemand schnell die Hand auf Lippen drücken, die nicht zu sehen waren? War das ein Lachen?
    Hatte Megan es gehört? Und hielt sie sich deshalb diesen Augenblick länger an mir fest, nachdem ich schon nicht mehr die Arme um sie schlang?
    Â»Sei vorsichtig«, wiederholte sie, bevor sie mich losließ, und ich versicherte ihr noch mal, dass ich es sein würde.
    Ich kletterte die restlichen Stufen hoch und ging den Flur entlang zu meinem Zimmer. Der Wind war hier lauter, und am Glas der Balkontür klebte so viel Schnee, dass ich das unheimliche Gefühl hatte, von der Welt abgeschnitten zu sein. Trotzdem machte ich die Tür hinter mir zu und langte automatisch nach dem Lichtschalter. Es klickte nur und das Zimmer schien sogar noch dunkler zu werden.
    Ich tastete mich zu meinem ungemachten Bett vor und legte mich auf die zerwühlten Decken.
    Â»Ich komme zu dir, Schwester«, flüsterte ich Lia zu.
    Die sichere Zeit war der Vormittag, hatten Jeff und ich festgestellt. Aber war das jetzt noch wichtig? Wie ich schon zu Megan gesagt hatte, Lia konnte mir nichts tun. Ebenso wenig wie ihr Schatten meinem Körper keinen Schaden zufügen konnte, würde ihr Körper meiner Geistgestalt keine Verletzungen beibringen können. Ich war ihr auf die Schliche gekommen. Sie konnte mich nicht mit Trugbildern zum Narren halten. Sie konnte mich nicht so wie Jeff und Helen in eine verhängnisvolle Lage bringen. Ich wusste einfach zu viel über sie. Ich würde nicht zulassen, in Gefahr gebracht zu werden.
    Lachen?
    Nein, das war der Wind. Das war das Wasser, das unter meinem Fenster über die Felsen rauschte. Es war das Flüstern des Schnees, der sich Schicht um Schicht auf dem schrägen Dach von Cliff House auftürmte.
    Ich schloss die Augen und

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