Komm zu mir, Schwester!
auftauen!!! Wir stieÃen auf Kassenbons und Korken, leere Zahnpastatuben und Zeitungsausschnitte. Zwei Mülltüten füllten wir, dann fand Dad, wir hätten lange genug gearbeitet. Also machte er im Kamin Feuer und schlug uns vor, reihum Geschichten zu erzählen.
Natürlich kam er als Erster dran, und eigentlich war es Betrug, denn seine Geschichte war die Handlung des Buches, an dem er gerade tüftelte â und die wollte er an uns ausprobieren. Meg übernahm danach und erzählte uns die Geschichte von dem Tag, an dem die Sonne verlosch und es immer kälter wurde auf der Welt, bis unsere ganze Familie sich in die Badewanne quetschen und das heiÃe Wasser anstellen musste.
»Und dann fror das auch noch ein«, fuhr sie fort, »und wir saÃen da, gefangen im Eis, und mussten verhungern, weil die Keksdose, die wir mitgenommen hatten, oben auf dem Waschtisch stand.«
Neal erzählte von Drachen, aber seine Geschichte kam nie recht in Gang, weil er sich so in den Beschreibungen ihrer äuÃeren Erscheinung verlor, dass er ganz vergaÃ, sie irgendetwas tun zu lassen.
Dann war ich an der Reihe. Ich erzählte eine Geschichte von Zwillingsschwestern, die bei der Geburt getrennt wurden, sich später aber wieder trafen, weil eine von ihnen ein Geheimnis kannte. Sie konnte sich von ihrem Körper lösen und fliegen.
»Und sie durchquerte das Land«, sagte ich, »und fand ihren Zwilling an dem abgelegenen Ort, an dem sie wohnte. Anfangs besuchte sie die Schwester bei Nacht, und diese dachte, sie würde träumen. Aber dann entwickelte sich die Gabe des besuchenden Zwillings, und schlieÃlich wurde das Mädchen so stark, dass sie sogar bei Tageslicht erscheinen konnte. Da sagte sie ihrer Schwester: âºWenn du es versuchst, wirst du es auch schaffen. Und du musst es versuchen. Du musst es lernen, damit du genauso reisen kannst wie ich, mit der Geschwindigkeit der Gedanken und indem du deinen Körper zurücklässt.â¹Â«
Alle schwiegen, als ich fertig war. Dann sagte Neal: »Bei dir hört es sich fast so an, als ob es wahr wäre. Aber das ist es nicht, oder? So was können Menschen doch nicht tun?«
»Nein, so was können Menschen nicht«, sagte Mom bestimmt. Vorwurfsvoll wandte sie sich an mich: »Du kannst es einfach nicht ruhen lassen, was, Laurie? Immer wieder wirfst du uns diese Geschichte an den Kopf. Und das sogar, wenn wir als Familie gemütlich zusammensitzen. Das ist wirklich nicht fair.«
»Aber, Shelly«, sagte Dad. »So hat Laurie das bestimmt nicht gemeint.«
»Hat sie wohl«, sagte Mom. »Das ist dieselbe schreckliche Geschichte, die sie uns vor Kurzem erzählt hat, von Heimsuchungen, Träumen und Geistern, die kommen und gehen. Sie ist besessen von der Vorstellung, ihre Wurzeln zu finden.«
»Was für Wurzeln?«, wollte Neal wissen, seine Augen leuchteten vor Interesse.
»Siehst du!«, sagte Mom. »Jetzt ziehst du auch noch deine Geschwister mit rein.«
»Tut mir leid«, sagte ich. Und ich meinte es auch so. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Geschichte sie derart aufregen würde. »Ich will dir nichts an den Kopf werfen. Ehrlich. Astralreisen sind möglich, das ist eine Tatsache, Mom, und Leute mit meiner Art Hintergrund sind besonders begabt dafür, so was zu nutzen. Ich habe Bücher zu diesem Thema, die du lesen kannst, wenn du möchtest. Und heute Morgen habe ich einen Anruf gemacht â¦Â«
»Bitte, lass das«, sagte Dad leise. »Du weiÃt, wie deine Mutter dazu steht, die Vergangenheit aufzuwühlen. In einem fiktionalen Kontext wird die Sache für sie auch nicht schmackhafter. Sie hat recht, das war ein unfairer Zug, und ich weià gar nicht, was du dir davon verspro-chen hast. Wir haben dir schon alles gesagt, was wir wissen.«
»Und wenn es nun wahr ist, was ich euch erzählt habe?«, sagte ich. »Was, wenn ich euch beweisen könnte, dass Lia mir wirklich beigebracht hat, wie â¦Â«
»Das reicht, Laurie«, sagte Dad mit Nachdruck. »Du bist nicht mehr dran. Du bist an der Reihe, Shelly. Wovon handelt deine Geschichte?«
»Mir fällt nichts ein«, sagte Mom mit gepresster Stimme. »Wir haben jetzt genug Geschichten gehört. Wie wäre es mit Mittagessen? Neal, nimm die Taschenlampe mit. Das Lämpchen im Kühlschrank brennt ja nicht. Beim Broteschmieren tappen wir sonst im Dunkeln.«
Sie
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