Komm zurueck, Como
bleiben. Nur widerwillig sprang Como vom Sofa, wedelte beim Anblick der Leine aber mit dem Schwanz.
Fort Funston, das an einer aufsehenerregenden Klippe oberhalb des Pazifiks liegt, ist San Franciscos letztes Hundeparadies. Überall, wo man geht, von den gepflasterten Wegen über die mit Gras bewachsenen Dünen bis zum Strand selbst, rennen Hunde frei herum und spielen miteinander. Die Besitzer treffen sich im Schatten und verteilen Leckereien und Klapse an die freundliche, umherschweifende Meute. Eine kräftige Meeresbrise ergänzt die energiegeladene Wohlfühlstimmung.
Ich bin hier immer erst ein bisschen von Ehrfurcht ergriffen, einerseits von der Landschaft, aber auch von dem Tumult, der durch die befreiten Hunde entsteht. Doch wenn wir ein Stück gegangen sind, nehme ich die Tatsache, dass ich meinen Hund an der Leine führe, immer weniger wahr und beginne, den formlosen Fluss von Mensch und Tier zu genießen. Es gibt verschiedene Routen, die man gehen kann, ohne von Joggern oder Power Walkern gestört zu werden. Alle scheinen alle Zeit der Welt zu haben. Ich bleibe immer länger als geplant. Die überwältigende Aussicht von der Klippe übers Meer scheint weitschweifiges Denken anzuregen.
Während sich die Wellen im Sonnenlicht kräuselten und Como neben mir trabte, kehrten an dem Tag meine Gedanken von Sally und Phoebe und unserer Zukunft zu meinem Vater zurück. Ich denke nicht viel an ihn, zumindest nicht bewusst, doch bestimmte Tätigkeiten und Umstände, eine bestimmte Gemütsverfassung, holen ihn klar und deutlich auf meinen inneren Bildschirm. Draußen und allein mit Como zu sein, besonders während Sally, aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, sicher auf dem Sofa lag, war ein starker Auslöser.
Streng und alles andere als schweigsam, was seine eigenen Gefühle anging, spielten Pflicht und Prinzipientreue eine zentrale Rolle im Leben meines Vaters. Er war ein Kleinstadtjunge aus Missouri, der sehr hart gearbeitet hatte, um seine Ziele in der Akademie und im Bankenwesen zu erreichen. An alles, angefangen bei seinem Beruf über die Gartenarbeit bis zu den Erwartungen seiner Umwelt, machte er sich mit einer gewissen Härte und Akribie. Selbst auf dem Tennisplatz strahlte er Entschlossenheit und Freudlosigkeit aus, schlug den Ball übers Netz und kehrte mit finsterem Blick zum Gegenschlag an seinen Platz zurück. Ich bin mir sicher, er liebte meine Mutter, die während ihrer Ehe eine Reihe gesundheitlicher Krisen durchlebte, meine Schwester und mich. Doch manchmal, während ich im Kegel der väterlichen Schweigsamkeit aufwuchs, war davon nichts zu merken.
Dank Gengy, unseres Familienhundes, hatte sich mein Vater geöffnet. Von dem Moment an, in dem dieses temperamentvolle Tier in unser Haus kam, war Dad verschwenderisch, fast närrisch zuvorkommend mit seinen Gefühlen, seiner Babysprache, seiner Fürsorglichkeit und seinem Stolz. Nichts war zu gut für Gengy– magerer Schinken vom Tisch, ein glänzendes Lederhalsband zu Weihnachten, der beste Platz als Beifahrer auf der Rückenlehne seines Sitzes. Dies zu sehen war verwirrend und auch ein bisschen schmerzlich. Meine Schwester Judy und ich fragten uns allen Ernstes, ob sich unser Vater mehr um Gengy als um uns kümmerte. Doch später, lange nachdem Gengy und dann unser Vater gestorben waren, wunderten wir uns, wie Hunde und kleine Kinder als Schlüssel fungierten, mit dem sich eine Tür öffnen ließ, die ansonsten ängstlich oder schützend geschlossen geblieben wäre. Hinter dieser Tür lag ein Raum, in dem Dad die Freiheit spürte, loszulassen und zu kichern, Grimassen zu schneiden, Unsinn zu reden und all die Liebe zu verströmen, die bedingungslos und ohne Einschränkungen zu ihm zurückfloss. Während ich mit Como in der Sonne Kaliforniens spazieren ging, hatte ich vielleicht zum ersten Mal Verständnis für die Zuneigung meines Vaters einem nicht sehr liebenswerten Zwergdackel gegenüber. Weil das Leben viel zu kurz ist, möchte ich nicht auf einen Hund eifersüchtig sein, besonders nicht auf einen, der seit Jahrzehnten tot ist.
Meine Eltern zogen von Philadelphia nach Cleveland, als meine Schwester und ich das Haus verließen und aufs College gingen. Dies war die Zeit, in der Gengy im Jahre 1972 unerwartet starb. Eines Tages wurde er lustlos und weigerte sich, zu fressen. Zwei Tage später, ausgezehrt von mehreren bis dahin unerkannten Tumoren, wurde er eingeschläfert. Mein Vater verlor mir oder meiner Schwester gegenüber nie ein Wort darüber.
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