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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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eine Verlobte besessen, die für mich putzte, noch zwei sehr neugierige Kinder, die in meinen Sachen herumschnüffelten, um zu lernen, wie sie dem Düsteren Daddy Dexter noch ähnlicher werden konnten.
    Rita schien mein Bedürfnis nach ein wenig persönlichem Freiraum zu verstehen, wenn auch nicht die Gründe dafür, und hatte ihr Nähzimmer geopfert und in etwas verwandelt, das sie Dexters Arbeitszimmer nannte. Eines Tages würde es meinen Computer, meine wenigen Bücher und CD s und vermutlich mein kleines Rosenholzkästchen beherbergen. Aber wie konnte ich es dort lassen? Cody und Astor konnte ich es ganz einfach erklären – aber was sollte ich Rita sagen? Sollte ich versuchen, es zu verstecken? Hinter einer Regalattrappe einen Geheimgang bauen, der über eine Wendeltreppe hinunter in meine düstere Höhle führte? Das Kästchen vielleicht im doppelten Boden einer Rasierschaumdosenattrappe verstecken? Es war ein echtes Problem.
    Bis jetzt hatte ich es vermieden, eine Lösung finden zu müssen, indem ich meine Wohnung behielt. Dennoch bewahrte ich ein paar einfache Dinge in meinem Arbeitszimmer auf, wie meine Filetiermesser und Paketband, die mit meinem Interesse fürs Angeln und Klimaanlagen leicht zu erklären waren. Eine Lösung würde sich noch finden. Jetzt spürte ich eisige Finger an meinem Rückgrat stupsen und kitzeln und das dringende Bedürfnis, eine Verabredung mit einem verwöhnten jungen Mann einzuhalten.
    Und so begab ich mich in mein Arbeitszimmer auf der Suche nach einer dunkelblauen Nylonsporttasche, die ich für eine besondere Gelegenheit aufgehoben hatte, um darin meine Messer und das Paketband zu transportieren. Ich zog sie aus dem Schrank, den scharfen Geschmack der Vorfreude auf der Zunge, und packte meine Spielsachen hinein: eine neue Rolle Paketband, ein Filetiermesser, Handschuhe, Seidenmaske und eine Rolle Nylonseil für den Notfall. Fertig. Ich spürte, wie meine Adern in stählerner Aufregung glühten, die wilde Musik erschallte in meinen Ohren, der dröhnende Puls des Dunklen Passagiers trieb mich an, hinaus, los. Ich wandte mich zum Gehen …
    Und prallte auf ein ernstes Kinderpärchen, das mich erwartungsvoll anstarrte.
    »Er will mit«, sagte Astor, und Cody nickte, während er mich aus riesigen Augen ohne zu zwinkern anblickte.
    Ich bin aufrichtig davon überzeugt, dass jene, die mich kennen, sagen würden, dass ich über eine geschmeidige Zunge und eine rasche Auffassungsgabe verfüge, aber während ich im Geist zurückspulte, was Astor gesagt hatte, und wiederholt versuchte, eine andere Bedeutung darin zu erkennen, brachte ich nur allzu menschliche Geräusche hervor, etwas wie: »Er wi mi we?«
    »Mit dir«, antwortete Astor geduldig, als spräche sie mit einem geistig zurückgebliebenen Zimmermädchen. »Cody will dich heute Nacht begleiten.«
    Im Rückblick ist leicht zu erkennen, dass dieses Problem früher oder später auftauchen musste. Und um mir vollkommen gerecht zu werden, was meiner Ansicht nach sehr wichtig ist, hatte ich damit gerechnet – aber nicht schon jetzt. Nicht auf dem Sprung in meine Nacht des Verlangens. Nicht, während jedes einzelne Haar in meinem Nacken sich sträubte und kreischte in dem unbezwinglichen Drang, in kalter, stählerner Raserei in die Nacht zu gleiten …
    Die Situation verlangte eindeutig nach ernsthafter Betrachtung, aber mein Nervensystem verlangte tobend aus dem Fenster zu springen und in der Nacht zu verschwinden – doch dort standen sie, und irgendwie holte ich tief Luft und musterte die beiden.
    Die scharfe, schimmernde Blechseele von Dexter, dem Rächer, war von einem Kindheitstrauma geschmiedet, so grausam, dass ich es komplett verdrängt hatte. Es hatte mich zu dem gemacht, was ich bin, und ich bin sicher, dass ich schniefen und unglücklich sein würde, wäre ich fähig, überhaupt Gefühle zu empfinden. Und diese beiden, Cody und Astor, trugen dieselben Narben, geschlagen und misshandelt von einem brutalen, drogensüchtigen Vater, bis auch sie auf ewig für Sonnenschein und Lutscher verloren waren. Wie mein weiser Stiefvater wusste, als er mich aufzog: Es gab keine Möglichkeit, das ungeschehen zu machen, keine Möglichkeit, die Schlange zurück ins Ei zu stecken.
    Aber eine Ausbildung war möglich. Harry hatte mich ausgebildet, mich zu etwas geformt, das ausschließlich andere dunkle Raubtiere jagte, die anderen Ungeheuer und Ghule, die sich in menschliche Haut kleideten und über die Wildpfade der Stadt streiften. Mich

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