Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
unten ein weitaus besseres Klima herrschte als in den oberen Räumen des Gebäudes –, sondern weil das Ganze hier ausgesprochen unangenehm war.
Auch wenn Linda sich beeilte, das Radio abzustellen, hatte sie wahrhaftig nicht die Absicht, im entscheidenden Punkt nachzugeben.
»Ich habe Angst, Bosse!«, gestand sie mit einem verdächtigen Zittern in der Stimme.
Gleich würde sie anfangen zu weinen – das wusste er. Dies war wirklich ein grässlicher Nachmittag, und er hatte nicht die geringste Ahnung, was er dagegen unternehmen sollte.
Anna Stråhed, die andere Angestellte des Museums, stand ein wenig entfernt am Eingangstor und umfasste nervös ihre mageren Oberarme. Dann zog sie die selbst gestrickte Jacke so eng sie konnte um den Körper und starrte geradewegs ins Leere.
Die ganze Geschichte ängstigte sie furchtbar, und sie wollte nichts mehr damit zu tun haben. In all ihren langen Jahren im Fremdenverkehrsamt der Stadt war ihr so etwas noch nicht passiert.
Zum ersten Mal fand sie das Angebot der vorzeitigen Pensionierung richtig verlockend. Und das hatte in keiner Weise damit zu tun, dass sie sich hintergangen fühlte, obgleich sie sich schon manchmal ein wenig mehr Anerkennung gewünscht und erhofft hatte. Besonders damals vor sechs Jahren, als sie eine große Konferenz und einige Kurse über Tourismus organisiert hatte.
Sie hatte sogar schon ein Auge auf eine attraktive PR-Stelle in der Stadtverwaltung geworfen, für die es wirklich wert gewesen war, zu kämpfen. Aber die Stelle war natürlich an einen Mann gegangen – einen Politiker, der sich so unbeliebt gemacht hatte, dass man sich gezwungen sah, ihn weiterzubefördern.
Nein, sie war nicht verbittert – sie hatte sich mit der Welt, wie sie nun einmal war, versöhnt. Außerdem gefiel ihr ein Monatsgehalt besser als der vorzeitige Ruhestand, denn sie kam wirklich gern unter Leute.
Bis zum heutigen Tag.
Sie starrte mit leerem Blick auf das Torgewölbe, das nun seit einer guten Stunde geschlossen war. Als könnte sie mit ihrem Blick geradewegs durch die rustikale alte Eingangstür dringen und den Sund da draußen verführerisch in der Winterkälte glitzern sehen. Die großen weißen Fähren beobachten, die auf dem schwarzen Winterwasser einander geschickt passierten. Und die Stadt unterhalb der Festungsanlage in der ersten erwartungsvollen Weihnachtsstimmung pulsieren sehen.
Die aus der Jahrhundertwende stammenden, ziegelgedeckten Gebäude der Innenstadt schienen im eisigen Wind enger zusammenzurücken und sich über den Köpfen der Menschen Weihnachtsgeheimnisse zuzuraunen.
Selbst das Glockenspiel des Rathauses bekam in der unerwarteten Kälte mit ein wenig Fantasie einen anheimelnden, festlichen Klang und …
… sie standen hier oben – eingesperrt!
Weit entfernt von jeglicher menschlichen Gemeinschaft.
Eingesperrt mit etwas Furchtbarem – etwas vollkommen Verrücktem!
Dort oben in den Sälen der anderen Stockwerke wütete es und verhöhnte, bedrohte und terrorisierte das treue Museumspersonal.
Aber jetzt hatte jemand die Sache wirklich auf die Spitze getrieben – so konnte es definitiv nicht weitergehen!
Auch wenn man das Museum vor einer guten Stunde geschlossen hatte, wollte keiner nach Hause gehen, solange die Sache nicht geklärt war.
Oder wenigstens nicht, bevor die Polizei kam.
»Ruf an! Ruf jetzt sofort an, bevor er jemanden von uns tötet!«
Linda spürte, wie die Hysterie ihr die Kehle zuschnürte. Sie versuchte, dem Gedanken an das Messer auszuweichen, das geradewegs auf sie zugeflogen kam, als sie einige Stunden zuvor auf dem Weg in die zweite Etage gewesen war.
Doch so etwas vergisst man nicht so leicht.
Ehrlich gesagt hatte sie es kaum wahrgenommen. Sie hatte nur etwas aufblitzen sehen und diesen zischenden Laut gehört – so unangenehm nahe.
Dann war es unmittelbar neben ihr in der Tür eingeschlagen, und als sie das unheimliche Klirren hörte, dachte sie, dass es auf den Boden gefallen sei. Aber sie war sich nicht hundertprozentig sicher, denn sie war sofort in Panik die Wendeltreppe hinuntergeflüchtet.
Jetzt legte sie verzweifelt die Fingerspitzen an die bereits schmerzenden Schläfen und drückte fest zu, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren.
Bo Jernback begriff, dass er keinen einfachen Ausweg aus dem Dilemma finden würde. Dieses Mal würde es nicht so leicht wie sonst für ihn werden, den Kopf in den Sand zu stecken.
Er ging zur Kasse, zwängte sich hinter die schützenden Glaswände und nahm
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