Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
den Hörer ab.
Begann zu wählen – und hielt inne. »Aber was zum Teufel soll ich denn sagen?«, wollte er wissen.
Plötzlich war Linda wieder vollkommen ruhig und klar. Als ob der bloße Gedanke daran, endlich Hilfe zu bekommen, ihr neue Kräfte verlieh. »Sag, wie es ist, verdammt!«, fauchte sie.
»Wie es ist? Du spinnst doch!«
In diesem hitzigen Augenblick traf Anna Stråhed unvermittelt eine Entscheidung: Sie würde wirklich in Rente gehen!
Wollte sich plötzlich keine Sekunde länger als notwendig hier aufhalten. Gedachte wahrhaftig nicht zu bleiben und zu erleben, wie sich die Tragödie vollenden würde.
Es konnte ja jeden treffen, einen Touristen, Linda, Bosse – oder sogar sie selbst! Denn das hier würde in einem Unglück enden, davon war sie felsenfest überzeugt. Und sie dachte nicht daran, darauf zu warten!
Linda stampfte so erbost mit ihrem Stiefel auf den Holzfußboden im Eingangsbereich, dass es schicksalsträchtig im Gebälk krachte.
Das Echo hallte nach, wand sich über die ziegelgemauerte Wendeltreppe, die Könige und Königinnen früherer Jahrhunderte in ihre Gemächer getragen hatte, aufwärts. Stieß gegen die Rundungen der Wände und setzte sich in Richtung der nasskalten Schlosssäle in den oberen Etagen fort.
Hörte er sie?, dachte sie atemlos. Der da – in der Dunkelheit da oben?
»Sag einfach, wie es ist …«, forderte sie den Direktor auf, und ihre Stimme ging in ein schneidendes Falsett über, was Bo Jernback schließlich einsehen ließ, dass er keine andere Wahl hatte.
»… sag, dass es spukt!«
16:58:33
Es war nasskalt und ungewöhnlich frostig für Schonen, als Kriminalkommissar Joakim Hill das Polizeipräsidium verließ und seine Schritte in Richtung der stark befahrenen, hektischen Carl-Krooksgatan steuerte.
Ein rauher Wind blies ihm entgegen, und Hill fröstelte, kaum dass die Eingangstür hinter ihm zugefallen war. Er schlug den Kragen der Winterjacke hoch und schloss ausnahmsweise den Reißverschluss bis unter das Kinn.
Es war unwiderruflich Winter geworden.
In der Stadt spürte man schon den Weihnachtstrubel – eine elektrisierende Spannung, die die Menschen erfasste und in erwartungsvoller Vorfreude auf die Straßen und Plätze zog, als ob das kindliche Gemüt in ihrem Inneren weiterhin existierte und genau wusste, wann es an der Zeit war, hervorzuluken und zur Begrüßung der weißen Jahreszeit frostüberzogene Blüten treiben zu lassen.
Und das, obwohl es noch nicht einmal Advent war, ja, es bis dahin immerhin noch fast zwei Wochen dauerte.
Kriminalkommissar Joakim Hill von der Polizei Helsingborg war im besten Junggesellenalter. Mit neununddreißig Jahren würde er zwar bald unleugbar die magische Vierzig passieren – die Schrecken erregende Grenze zwischen unbeschwerten Jugendjahren und dem trägen Erwachsenenleben –, doch das Nahen einer größeren Krise glaubte er noch nicht zu spüren. Andererseits wusste er ja nicht, wie eine Vierzigerkrise sich anfühlte, denn er war nie zuvor vierzig geworden.
Es passierte manchmal, dass er von seinen Kollegen auf dem Revier scherzhaft »Joe Hill« genannt wurde, was bei seinem Namen unvermeidbar war. Die freundlichen Sticheleien ertrug er meistens mit ebenso freundlichem Gleichmut; außerdem war der Vergleich nicht ganz unberechtigt.
Joakim Hill war dem jungen Schauspieler Thommy Berggren, der Anfang der Siebziger den alten, schwedisch-amerikanischen Klassenkämpfer Joe Hill unter Bo Widerbergs meisterlicher Regie mit starker Ausstrahlung auf der Kinoleinwand dargestellt hatte, in der Tat nicht unähnlich. Wo dieser allerdings wie selbstverständlich sein Charisma offenbarte und hauptsächlich seiner Natürlichkeit wegen die Aufmerksamkeit seiner Umgebung auf sich zog, benahm sich Joakim unauffälliger und war meistens dankbar dafür, sich weder im Beruf noch privat besonders von der Masse abzuheben.
Er selbst hielt sich für eine recht stille Natur, und er wendete, im Unterschied zu seinem Kollegen Sahlman, dem Snob des Reviers, weder mehr Zeit noch Geld als nötig für sein Äußeres oder für Vergnügungen irgendwelcher Art auf.
Joakim Hill war möglicherweise etwas größer als der Durchschnitt und ansonsten weder mager noch dicklich, weder blond noch dunkel, sondern einfach nur – wie er selbst zu sagen pflegte – ganz gewöhnlich aschblond. Hingegen hatte er genau die gleichen sinnlich dunklen Augen wie Thommy Berggren.
Sein Leben war bisher ziemlich anspruchslos verlaufen. Er wohnte in einer
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