Kommissar Morry - Terror um Mitternacht
„Nicht anfassen, bitte!“
Mrs. Blobber zuckte zusammen, als hätte man sie einer unsittlichen Handlung bezichtigt. Dann las sie dien Zettel. Sie spitzte dabei die Lippen, als wolle sie ihren Wellensittich küssen. Als sie sich wieder aufrichtete, murmelte sie: „Wer soll das denn sein, um Himmels willen? Meinen Sie wirklich, die arme Miß Benson hat...“ „Ist das die Schrift Ihrer Untermieterin?" unterbrach Motley.
„Ganz sicher, Sir.“
„Haben Sie zum Vergleich eine Schriftprobe an der Hand?“
„Ja, Sir. In der Küche. Miß Benson schrieb mir jeden Tag auf, was ich ihr vom Kaufmann besorgen soll.“
„Bitte holen Sie den Zettel.“
Als der Inspektor wenig später die Schriftproben miteinander verglich, konnte er feststellen, daß die Wirtin recht hatte. Er reichte ihr den Zettel zurück.
„Na, die Besorgung können Sie sich ja sparen“, sagte er gedankenlos. Mrs. Blobber schaute ihn daraufhin empört an, aber er bemerkte es kaum.
„Hatte sie einen Freund?" fragte er und blickte sich suchend im Zimmer um. Er konnte nirgendwo die Fotografie eines Mannes entdecken.
„Ich sagte Ihnen doch schon vorhin, daß Miß Benson keine Herrenbesuche empfing.“
„Grundsätzlich . .. oder weil Sie es wünschten?“ erkundigte er sich und blickte Mrs. Blobber in die Augen.
Die Wirtin errötete. „Es gehört zu meinen unumstößlichen Prinzipien“, erklärte sie und drückte das Kinn gegen den Hals. „Ich mache es zur Bedingung, wenn ein Mädchen bei mir einzieht.“
„Sehr schön“, brummte er.
Diese Bemerkung stimmte Mrs. Blobber etwas versöhnlicher. Wie alle Moralisten liebte sie nichts so sehr wie fremde Anerkennung.
„Ist sie oft ausgegangen?"
„Sie hatte ja nur einmal in der Woche frei“, erwiderte die Wirtin. „Da ging sie natürlich aus. Meistens ins Kino. Sie hatte eine Schwäche für Wildwestfilme.“
„Wann kam sie zurück?“
„So gegen zwei Uhr morgens.“
„So lange läuft kein Film.“
Die Wirtin zuckte mit den eckigen Schultern. „Ich bin nicht neugierig. Ich habe nie gefragt, wo sie war."
„Woher wissen Sie dann das mit den Wildwestfilmen?“
„Das hat sie mir erzählt.“
„Was hat sie noch von sich berichtet?“
„In letzter Zeit schwärmte sie von einem Mann... ich glaube, er arbeitete in der gleichen Bar wie sie.“
„Erwähnte sie jemals seinen Namen?“
„Sie nannte ihn Cliff, wenn ich mich recht erinnere."
„Hm. Was liebte sie an ihm?“
„Ich habe keine Ahnung, ob sie ihn überhaupt liebte. Sie sagte nur, er sähe genauso aus wie ein Held.“
„Ist das alles?“
„Wir sahen uns nur selten, Sir. Sie schlief ja den ganzen Tag. Wenn sie abendis zum Dienst ging, war sie meistens ziemlich einsilbig.“
„Haben Sie eine Ahnung, ob ihre Eltern noch leben?“
„Sie hat noch einen Vater. Er wohnt in Leicester. So viel ich weiß, verstand sie sich nicht sehr gut mit ihm. Er ist ein Trinker und schrieb nur dann, wenn er Geld brauchte. Seinetwegen ist sie von Leicester weggegangen."
Es klingelte.
„Um Himmels willen, wer kann das sein?“ fragte die Wirtin.
„Der Polizeiarzt“, erwiderte Motley. „Bitte öffnen Sie ihm und lassen Sie uns dann allein.“
„Du lieber Himmel“, stöhnte Nighel, als er die Tür hinter sich ins Schloß gezogen und einen Blick auf die Tote geworfen hatte. „Es gibt bessere Methoden, ein Zimmer wohnlich zu gestalten.“
„Sie sind ein wirklicher Witzbold", brummte Motley bitter. „Ohne Ihren goldenen Humor wäre mein Leben arm an Höhepunkten. Sie bringen Licht und Freude in mein Dasein.“
„Sie haben's nötig, sich zu beschweren!“ sagte Nighel. „Als Ihr verdammter Anruf kam, wollte ich mich gerade an den gedeckten Tisch setzen. Es gab Ravioli, wenn Sie's genau wissen wollen.“
„Ich mag Ravioli nicht“, meinte Motley.
Der Arzt nahm die Brille ab und begann sie mit dem weichen blauen Lappen zu putzen. Dann setzte er sie wieder auf und betrachtete die Tote.
„Sie muß hübsch gewesen sein“, bemerkte er anerkennend. „Warum hat sie sich zu solch einem Schritt entschlossen?"
„Ich fürchte, dieser Entschluß kam von fremder Seite.“
Der Doktor winkte ab. Er hielt nicht allzuviel von Motleys beruflichen Fähigkeiten.
Mit dieser Ansicht stand er nicht allein da. Die meisten Leute vom Yard sahen in Motley nur einen griesgrämigen Durchschnittsbeamten, der immer etwas nach Mottenkugeln roch und zuweilen dazu neigte, recht altmodisch und geschraubt zu sprechen.
Horace Motley war aus Sheffield
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