Kommissar Pascha
euren anhängigen Fällen. Ich versuche mal, ob wir den Eisbachtoten nicht jemand anderem aufs Auge drücken können. Wir haben genug anderes zu tun.«
»Stimmt. Das wäre was für den Demirbilek und sein Dezernat, oder?«, fragte Herkamer seinen Chef.
»Jetzt warten wir mal ab, ob wir es wirklich mit einem Ausländer zu tun haben … Ihr kennt den Türken doch. Der schickt uns den Toten sonst bloß wieder zurück! So, jetzt macht eure Arbeit, in einer Stunde fahren wir zur Muffathalle in den Biergarten. Ich brauche ein Bier.«
Die beiden Kollegen nahmen ihre Jumbotassen und verließen Leipolds Dienstzimmer. Leipold blieb auf seinem Sessel sitzen und wählte ein weiteres Mal Demirbileks Handynummer. Wieder nur die Mailbox. Er legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, und sagte laut zu sich: »Scheiße, Türke, wo bist du?« Dann stand er auf und schloss die angelehnte Tür. Er ging zurück zum Schreibtisch und wühlte in der vollgestopften Schublade, bis er einen Reißnagel mit blauem Plastikkopf fand.
Im Stehen zog er den Ausschnitt seines schwarzen T-Shirts ein Stück nach unten und drückte vorsichtig den Reißnagel in seinen Brustkorb. Mit dem geringen Druck, den er ausübte, passierte nichts. Er drückte fester zu. Fest genug, bis der Schmerz im Schädel aufhörte und sich wohltuend auf den Brustkorb verlagerte. Der Reißnagel steckte im Fleisch seiner rasierten Brust. Das herausquellende Blut war im Schwarz des T-Shirts nicht zu sehen.
Zwanzig Minuten später drehte Herkamer den Kopf, um das Foto, das aus dem Farblaserdrucker surrte, betrachten zu können. Er nahm das warme Papier und setzte sich im gemeinsamen Dienstzimmer Stern gegenüber. Dann begutachtete er das Foto aus der Vermisstenkartei ein weiteres Mal und hielt es hoch, damit sein Kollege es sehen konnte. »Na also«, sagte er mit einem erleichterten Unterton. »Das ist er. Türke. Bülent … den Nachnamen kann kein Mensch aussprechen.«
Stern nahm Herkamer den Ausdruck aus der Hand. Das Hochzeitsfoto neben den Angaben zu Person und Wohnort zeigte den Mann aus dem Eisbach in einem schwarzen Anzug, seine brünette Frau in weißem Hochzeitskleid trug ein enganliegendes Kopftuch. Beide hatten einen übertrieben glücklichen Gesichtsausdruck. Das erzwungene Lächeln wirkte leicht spastisch, fand Stern. Der Hintergrund des Studiofotos zeigte einen weichgezeichneten, roten Mond, was der Aufnahme eine gewisse kitschige Note verlieh.
»Vermisst?«, fragte Stern.
»Jetzt nicht mehr«, erwiderte Herkamer.
»Warum jagen die ihm bloß Reißnägel in die Brust?«, dachte Stern laut nach.
»Gott sei Dank müssen wir nicht zu seiner Witwe. Die spricht bestimmt kein Deutsch … Demirbilek ist der Richtige dafür«, entgegnete Herkamer.
»Komm, gehen wir zu Leipold, Zeit für den Biergarten«, meinte Stern. Die beiden Beamten standen auf, Herkamer nahm das Foto und legte es zu den anderen Unterlagen in die Akte.
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9
Z wei Stockwerke über Leipolds Büro hatte Isabel Vierkant genug vom Warten. Sie blickte sich um und beschloss, etwas gegen das Durcheinander zu unternehmen. Obwohl sie keine Ordnungsfanatikerin war, war es ihr lieber, wenn es in ihrer Umgebung nicht so aussah wie in ihrer chaotischen Umhängetasche. Offenbar, stellte sie kopfschüttelnd fest, war dem neuen Dezernatsleiter die Inneneinrichtung gleichgültig. Sie stand auf und verrückte einen der beiden Schreibtische ein Stück in die Mitte des Raumes, damit sie eine bessere Sicht durch das Bürofenster hatte. Die Wandschränke, Regale und Tische aus dem Möbellager machten ebenfalls keinen guten Eindruck. Nichts passte zusammen. Einen Garderobenständer gab es auch nicht. Sie setzte sich und hängte die Jacke über den Drehstuhl, genoss einen Seufzer lang den Blick über die Dächer von Münchens Altstadt und schaltete den Computer ein. Sie tippte im Zehnfingersystem. Eine Fähigkeit, die sie sich in einem VHS -Kurs angeeignet hatte. Überhaupt war sie auf die neue berufliche Herausforderung gut vorbereitet. Peter, ihr Ehemann, arbeitete freiberuflich als Programmierer zu Hause. Die Zweizimmerwohnung war für sie beide groß genug. Das Kind, nach dem er sich sehnte, musste warten. Auch sie wollte unbedingt eine Familie gründen. Nur nicht jetzt. Ein, vielleicht zwei Jahre später.
Es dauerte fünfzehn Minuten, bis Vierkant von Garderobenständer, Büroklammern, Locher, Ordner und Blumenvasen eine umfangreiche Liste erstellt hatte. Sie schickte das Dokument per Mail an
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