Kommissar Steen 01 - Unruhe
korrekt. Wir wissen nicht, ob er ein Autonomer ist.«
»Aber er trug eine Sturmhaube, oder?«
»Woher wissen … Er trug eine Art Mütze, ja, aber ich weiß nicht genau, was für eine.«
»Nun, ich weiß es aber. Ich habe hier ein Foto von einem toten Mann in Kampfstiefeln und mit Sturmhaube vorliegen, die Hände sind mit Kabelbindern gefesselt, wie sie von der Polizei benutzt werden. Er sitzt – oder saß – an die Friedhofsmauer gelehnt auf dem Boden, genau da, wo im Augenblick die Kriminaltechniker herumlaufen. Sind wir uns so weit einig?«
»Ich kann nicht auf Details eingehen, bestätigen kann ich allerdings, dass wir da draußen einen toten Mann gefunden haben. Und dass sich das Morddezernat der Sache angenommen hat.«
»Danke.«
Es wurde aufgelegt. Corneliussen hatte keine der Informationen, mit denen Lindberg ihn konfrontiert hatte, entkräftet, und das reichte Martin. In dem einhundertundzwei Sekunden langen Wortwechsel hatte der Chef des Morddezernats gleich mehrere Fehler begangen. Er hatte sich geweigert, Informationen zu einem Toten am Nørrebro-Friedhof zu kommentieren, aber er hatte bestätigt, dass es eine Leiche gab, die eine Mütze trug, und dass das Morddezernat den Fall übernommen hatte. Zusammen mit dem per Mail zugeschickten Foto und der Tatsache, dass der Friedhof die letzten vierundzwanzig Stunden vollkommen abgesperrt gewesen war und unter intensiver Bewachung der Polizei gestanden hatte, war das mehr als genug, um die Medien in einen Breaking-News-Rausch zu versetzen.
Corneliussen war von dem Anruf und seinem Verlauf so überrascht worden, dass er es nicht einmal mehr geschafft hatte,dem Journalisten zu drohen, er solle das Bild nicht veröffentlichen, bevor aufgelegt wurde. Wiederholte Rückrufe blieben ohne Erfolg. Auf der Chefetage des Präsidiums brach Panik aus.
Innerhalb von sechs Minuten raste das Bild durch die dänischen Internetmedien. CNN setzte es dreiundvierzig Minuten später auf die Startseite seines Dotcom-Portals.
Nach einer weiteren Stunde erschien die Polizeichefin auf den Fernsehschirmen und versprach eine voll umfängliche Untersuchung. Sie unterstrich, es deute nichts darauf hin, dass die Polizei irgendeine Verantwortung für den Tod des Betreffenden trage.
Aber bevor es so weit kam, saßen Axel und Darling in einem Dienstwagen auf dem Weg zu Modpress, das seinen Sitz in einem Hinterhaus kurz vor dem Übergang der Nørrebrogade in die Dronning Louises Bro hatte. Axel knallte das Blaulicht aufs Dach, und Darling trat das Gaspedal durch. Man hatte beim Amtsgericht angerufen, und laut Polizeijustiziar konnten sie damit rechnen, innerhalb der nächsten fünf Minuten einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen. Axel hatte drei Mannschaftswagen samt Besatzung an die Seen beordert, wo sie sich bereithalten sollten, wollte aber zunächst mit Darling möglichst unauffällig hineingehen, um zu verhindern, dass noch eilig Dateien und Dokumente gelöscht wurden. Axel war schon einmal in der Redaktion gewesen, um sich Fotos aushändigen zu lassen, die Licht auf einen alten Vergewaltigungsfall werfen konnten, allerdings ohne Erfolg – die Presse verteidigte ihre Neutralität mit einer Hysterie, die an Sektierertum grenzte, wenn es darum ging, der Polizei bei der Dokumentation von Gesetzwidrigkeiten behilflich zu sein. Und Modpress war keineswegs eine Ausnahme. Axel hatte nichts gegen die politische Ausrichtung des Nachrichtenportals, aber er hatte ein schwerwiegendes Problem mit einem der Journalisten und nicht vor, Darling einzuweihen. Eines der fünf Redaktionsmitglieder war ein Veteran des 18. Mai 1993 – der Nacht, in der Axel seine Unschuld alsjunger Polizist verloren hatte. Martin Lindberg war damals ein Teil der autonomen Bewegung gewesen, ein Anführer und Einpeitscher, der seinen Teil dazu beigetragen hatte, die Demonstranten aufzuhetzen, bis sie die Polizisten mit Pflastersteinen bombardierten. Er war von einem Schuss aus einer Polizeiwaffe getroffen worden. Die Kugel war aus Axels Pistole gekommen, und er hatte in zwei Prozessen vor Gericht als Zeuge aussagen müssen, in denen er Lindberg gegenüber gesessen hatte. Eine Anklage hatten Lindberg und seine Aktivistenfreunde gegen die Polizei erhoben, die andere hatte die Polizei gegen Lindberg erhoben. Lindberg verlor beide Prozesse und wanderte für neun Monate hinter Gitter.
Es war nicht so sehr das, was Lindberg in jener Nacht getan hatte. Es war sein Auftreten vor Gericht, seine Haltung und seine Worte. Da
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