Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
Ich muss noch Fieber messen und nach Flecken suchen, aber da will ich dich nicht dabeihaben, so wie du heut beieinander bist. Dein Kollege Holler scheint mir im Moment stabiler zu sein. Jedenfalls nicht so anfällig für schöne Frauen. Ruf den Fotografen an, und dann geh wieder arbeiten, Meißner. Morgen kriegst meinen Bericht. Und trink einen anständigen Schnaps, damit dein Hirn wieder in Schwung kommt. Hab gar nicht g’wusst, dass du so empfindlich bist.«
Meißner verständigte den Fotografen, wie Kern ihn aufgefordert hatte. Als er wegging, traf auch die Spurensicherung ein.
Das Treppenhaus war düster und still. Er besah sich die anderen drei Wohnungstüren auf dem Stockwerk: Grote, Leotidis, Kapusta. Hinter keiner von ihnen waren Geräusche zu hören. Der Hauptkommissar ging die abgenutzte Holztreppe hinunter und trat aus dem Haus. Die Sonne schien, es war ein angenehmer Spätsommertag. Am Einsatzfahrzeug vorbei lief er über den Holzmarkt. In den Querstraßen suchte er nach einem Café. Ja, da war es. Meißner bestellte sich einen doppelten Espresso und gleich einen Grappa dazu.
So traf man sich also wieder. Das erste Mal als Autofahrer und Tänzerin im Blumenfeld, das zweite Mal als Kommissar und Mordopfer. Letzteres war zugleich das Ende aller Möglichkeiten.
In einer Stadt wie dieser waren die Mörder handverlesen. Ingolstadt war nicht Berlin, nicht einmal Nürnberg oder München. Und genau hier lief jetzt also einer herum, der eine Tänzerin auf dem Gewissen hatte.
Roxanne, dachte er. In den nächsten Tagen und Wochen würde er sie nun auf eine ganz besondere Art kennenlernen, die er sich nicht ausgesucht hatte. Er würde in ihrem Leben herumschnüffeln, wie es wohl noch nie zuvor jemand getan hatte. Er würde einiges von ihr und über sie erfahren, vielleicht sogar sehr viel, aber trotzdem würden sie nie gemeinsam tanzen können. Schade eigentlich.
DREI
Als der Hauptkommissar am nächsten Morgen ins Präsidium kam, sah er zuerst bei seinem Kollegen Winter vorbei.
»Was ist aus den Kolumbianern geworden?«
»Sie werden heute dem Richter vorgeführt. Frau García kommt auch gleich und fährt mit. Dann werden sie vom Gericht in die JVA überstellt.«
»Hat die Vernehmung noch irgendwas Neues ergeben?«
»Bei dem Älteren haben wir tausendachthundert Euro im Gürtel gefunden. Er sagt, er habe sie als Spüler verdient. Die Frau hat ausgesagt, dass ihre Familie von der Guerilla ermordet worden sei.«
»Und was meint der Richter dazu?«
»Dass Kolumbien kein Asylland ist und er keine Scherereien mit denen haben will.«
»Arme Teufel!«
»Weiß man’s denn? Vielleicht sind sie tatsächlich arme Teufel, vielleicht aber auch Drogenkuriere.«
»Auch in dem Fall sind sie arme Teufel. Mensch, Winter! Möchtest du in Kolumbien leben und tagtäglich deine Haut verkaufen müssen?«
»Schon gut. Und was ist nun mit eurer Toten?«, fragte Winter, um das Thema »arme Kolumbianer« zu wechseln. »Selbstmord?«
»Nein, Mord«, sagte Meißner, verließ das Zimmer und ging hinauf in sein Büro im zweiten Stock.
»Hi, Stefan«, flötete Fischer, als er den Hauptkommissar erblickte, und kramte in seinen Notizen. Das Hawaiihemd war genau das richtige Outfit für die Ingolstädter Außenbezirke.
»Jetzt mach’s halt nicht so spannend. Leg einfach los«, forderte Meißner ihn auf.
»Okay. Die schöne Roxanne ist vor elf Monaten bei Mann und Kindern ausgezogen. Die Familie bewohnte eine kleine Villa am Stadtrand. Die beiden Töchter sind beim Vater im Haus geblieben, sechzehn und achtzehn Jahre alt. Der Mann ist Psychologe und arbeitet in einer Beratungsstelle der Caritas.«
»Warum?«, fragte Meißner.
»Wie? Warum er bei der Caritas arbeitet?«
»Nein, warum sie ausgezogen ist.«
»Also, Stefan, ich referiere hier gerade die Fakten, für Interpretationen ist es noch ein bisschen früh, meinst du nicht auch?«
»Gab es einen anderen Mann in ihrem Leben, du Schlauberger?«
»Davon hat mir die Schwester nichts erzählt.«
»Oder du hast sie nicht danach gefragt. Egal, weiter!«, brach Meißner ab. »Was hat sie beruflich gemacht?«
»Sie hat für Zeitungen geschrieben.«
»Journalistin?«
»Ja, aber freie, sie war nicht fest angestellt.«
»Hobbys?«
»Tanzen und Singen. Sie war in irgendeinem Chor hier Mitglied.«
»Fakten, Fischer, Fakten. Nicht ›irgendein Chor‹. Was sagen die von der Spurensicherung?«
»Bericht kommt noch«, murmelte Fischer, und es klang beleidigt.
Meißner griff kurz
Weitere Kostenlose Bücher