"Kommst du Freitag"
Wochenenden nehmen konnte, ging dafür drauf.
In dieser Mittagspause würde ich vermutlich erfahren können, ob es Mädchen oder Jungen würden oder von jedem eins. Die junge Ärztin fuhrwerkte mit dem Ultraschallkopf so sehr auf meinem Bauch herum, dass es fast weh tat. Die Babys bewegten sich nicht so, dass sie beide zu sehen waren. Darum mussten sie zurechtgeschubst werden.
Die Hirnhälften, stellte sich heraus, waren in Ordnung, die Rücken geschlossen, die Schenkel- und Index-Länge lagen in der Norm, das geschätzte Gewicht beider Wesen sei sehr zufriedenstellend.
Es klang alles ein wenig wie beim Schlachter.
Die Ärztin fragte: „Was wäre Ihnen denn gar nicht recht, was es werden soll?“
„Wenn es zwei Jungs würden, die so sind, wie ihr Vater als Kind war.“ Sagte ich blitzschnell.
Ich hatte über diese Frage noch nie nachgedacht, aber sofort diese Antwort parat. Ich war mir aus unerfindlichen Gründen einhundertprozentig sicher, mindestens einen Kerl da drin zu haben. Aber zwei? Paul hat als Kind alles angestellt, was Jungs so anstellen können: Feuer zur falschen Zeit an der falschen Stelle gemacht (mehrfach), Leute in Oberbayern mit Schrot beschossen (angeblich aus Versehen), sich gekloppt, dauernd nachts in Köln heimlich das Elternhaus verlassen (mit acht, glaube ich), heimlich sämtliche Schnapsreste aus den Gläsern der Gäste seiner Eltern ausgetrunken (mit fünf), nahezu jährlich die Schule oder das Internat gewechselt, sich vom dritten Lebensjahr an unsterblich in Mädchen und Frauen verliebt, zu früh geraucht, zu viel gekifft, die Schule gehasst. Und so weiter.
Wie er es hingekriegt hatte, trotzdem der tolle Hecht zu werden, der er war, als ich ihn mir als jungen Mann schnappte, wusste ich nicht. Es war mir auch egal. Ich wusste nur, derart anstrengende Umwege würde ich ungern mit eigenen Söhnen nehmen müssen … Schon gar nicht als voll berufstätige Mutter ... Ach, vielleicht war es doch nicht so übel, dass er heute nicht dabei war.
„Da kann ich sie total beruhigen“, sagte die Ärztin und lächelte schelmisch. „Zwei Jungs werden es auf keinen Fall. Hier, sehen sie einmal wunderbar die Labien.“ Sie schaute auf den Monitor und glitt mit dem Schallkopf auf einer Stelle meines Bauches hin und her. Ich starrte auf den Bildschirm und erkannte das Wunderbare nicht.
Labien? Labien, warte mal, das war irgendetwas ... Ach, Herrje: Schamlippen!
„Warten Sie, das andere kriegen wir auch noch. Na, komm schon.“ Sie drückte erneut die Föten durch meine Bauchdecke in eine bessere Lage, um auch bei Nummer zwei etwas zwischen den Beinen sehen zu können. „Ja, da bist du ja. A-h-a. Na, also. Da haben wir sie ja. Ja, keine Sorge. Sie bekommen ziemlich wahrscheinlich keine Jungs.“
Was? Wie? Oh! Aber warum denn nicht? Ich war mit einem Mal enttäuscht. Ich war doch überzeugt davon: mindestens ein Junge da drin! Ich hatte es felsenfest gewusst!
„Sind Sie sicher?“
„Zu 99 Prozent. Mädchen sind immer recht eindeutig.“
Vier Labien, zweimal zwei, eindeutig. Ich brauchte ein paar Minuten. Und ich schämte mich ein wenig. Obwohl dem Christentum abhold, dachte ich kurz ernsthaft darüber danach, dass es der liebe Gott bestimmt nicht gutheißt, wenn man hochmütig seine Fügung ablehnt und das Geschenk des Lebens nicht dankbar so nimmt, wie er es gab, und dass darum umgehend ein Blitz auf mich hernieder fahren würde, sobald ich die Charité verließe. Aber, Mensch, mal echt: gleich zwei Mädchen!
Ich rief den werdenden Vater an und überbrachte ihm die, aus meiner Sicht gewöhnungsbedürftige Nachricht. Zweihundert Kilometer weiter fielen einem Mann offenbar mehrere Steine vom Herzen. „Was für ein Glück! Mädchen! Toll, haha! Das ist doch herrlich! Mädchen! Ich mag Mädchen. Stell dir mal vor, es wären Jungs geworden, Jungs, wie ich einer war. Ein Stress! Nur Kampf. Aber Mädchen! Sahen sie gut aus?“
Sie bekamen den Arbeitstitel Hanni und Nanni.
Ich ging zurück in die Redaktion und tat so, als wäre nichts. Mein Gehirn aber googelte längst – nach geeigneten Namen. Johanna? Hanna? Helene? Holly?
Zwei Wochen später hatte ich Termine im Bundestag. Auf der Fraktionsebene, wo die Journalisten Politikern auflauern,traf ich befreundete Kollegen. Die Stimmung war spätsommerlich-fröhlich und aufgekratzt, die Wahlen rückten näher, und das politische Berlin vergaß, mehr noch als sonst, wie die Welt draußen lief. Manche Kollegen hatten mich wochenlang nicht
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