"Kommst du Freitag"
Berlin/Hamburg/Berlin? Wir brauchten einen Beschluss. Darum fassten wir ihn.
Der ernste Hintergrund war, dass wir immer mehr wunderbare Paare um uns herum erlebten, die gerne Kinder haben wollten, aber partout keine bekamen. Es wurden Hormone geschluckt und gespritzt, es wurden Eileiter und Gebärmütter inspiziert, Samenleiter und Beweglichkeit der Spermien gecheckt, für Vermögen Eizellen in vitro befruchtet oder im ICSI-Verfahren gesetzt, und nur allzu selten kamen frohe Botschaften dabei heraus. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass die Fertilität des Menschen Grenzen hat, hier war er.
Ich betrachtete mir alle diese Fakten und Gefühle so nüchtern, als wären sie die endlich klaren Ergebnisse einer komplizierten Recherche eines undurchschaubaren Politikums. Irgendetwas fehlte aber noch. Diese Story brauchte sozusagen noch etwas Emotion und einen Aufhänger, um gut zu werden. Denn so richtig reichte mir das noch nicht, um mich zu überzeugen.
Ich begann wieder zu taktieren, so wie das ganze letzte Jahrzehnt über, wegen des Jobs. Hatte ich früher Urlaube verschoben oder verfallen lassen wegen mir wichtiger Geschichten, versuchte ich nun, wegen der Karriere ein potenzielles Kind zu verschieben oder so zu planen, dass es nicht negativ auffiele, dem Arbeitgeber nämlich. Das klingt bescheuert, aber ich behaupte: Viele Frauen in meiner Lage tickten genauso, und manche versäumten es darüber glatt, überhauptein Kind zu machen, obwohl sie den richtigen Mann dafür zur Seite hatten.
Es ist Alltag, bis heute. Zurzeit regiert zum Beispiel diese Familienministerin in Deutschland mit. Kurz vor ihrer überraschenden Ernennung hatte sie noch frustriert zu Freunden gesagt, dass sie sich nun, da es mit ihrer Karriere als einfache Bundestagsabgeordnete nicht weiter bergauf zu gehen scheine, wohl mit der eigenen Familienplanung befassen könne. Das Ministeramt kam ihr dann dazwischen: Kabinett statt Kinderkacke, Karriere als Kontrazeptiva.
Natürlich thematisiert eine Frau von Mitte dreißig das heutzutage nicht, dieses Abwarten, Taktieren und Rechnen, wie lange man noch Zeit hat und wann man Nachwuchs günstig dazwischenschieben kann. Das tut man nicht öffentlich in diesem Land. Man behauptet, Kinder seien ungemein wichtig, aber zögert den Zeitpunkt für eigene so weiter hinaus. Ehrgeizig muss Business-Frau immer verfügbar erscheinen, so wie die Männer, deren letzter Karrierevorteil es ist, nicht gebären und stillen zu können.
Kinder haben im Leben der Ministerin vorerst nur andere: die, für die sie Politik macht.
Ich war nicht Ministerin geworden, sondern bloß neu im Berliner Polit-Büro meines Magazins. Ich wollte keine Politik machen, sondern nur darüber schreiben. So wie die nicht mehr ganz frischen Jungs dort, von denen einige schon auf Fehler von mir, der Neuen lauerten. Ich scheute darum den Wechsel ins Fach Mutter. Ich sagte zu Paul: „Wir sollten vielleicht die nächsten Bundestagswahlen abwarten.“ Ich meinte das ernst. Die Wahlen hätten aus damaliger Sicht eineinhalb Jahre später stattgefunden, ich wollte darüber berichten, vorher, währenddessen, nachher.
Als ich laut darüber nachsann, lagen wir im Bett. Paul richtete sich abrupt auf, schaute mich spöttisch-empört anund konterte: „Na klar, soweit kommt es noch, dass wir Kinder nach der Politik machen! Vögeln nach Wahlen! Befruchten in Legislaturperioden! Wo ich diese Kaste ohnehin ausreichend verachte. Nee, nee, dann lass uns jetzt erst recht loslegen.“
Ganz oder gar nicht, Sekt oder Selters! Herrlich! Es ist angenehm, wenn die klaren Ansagen auch vom anderen kommen. Man muss nicht alles mit sich selbst abmachen – wozu gibt es den Lebensmenschen denn? Ich verstand, warum Milla Carsten verlassen hatte, scheinbar im falschesten Moment – weil er sich genau davor immer gedrückt hatte. Ich lachte und sagte zu Paul: „Okay, na dann.“
Damit war die Sache beschlossen.
Wir dachten, ehrlich gesagt, es dauert mindestens ein Jahr, bis irgendetwas passiert. Denn der Beschluss, es darauf ankommen zu lassen, war die eine Sache, das Befruchten die andere. Sex in einer Fernbeziehung, ich hatte das erwähnt, findet nur unter gewissen Voraussetzungen statt. Eine davon war, dass man sich überhaupt sah. Allerdings hatte es die Natur nicht so eingerichtet, dass nur weil Wochenende war, auch ein Ei sprang und fröhlich seiner Besamung entgegenwanderte. Und selbst wenn ein Ei auf ein Wochenende traf, hieß das noch lange nicht, dass ich
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