"Kommst du Freitag"
meiner Lage zu tun. Ich kriege das Kind ja nicht im Kopf.“
Die schwangere Frau, das dämliche Geschlecht. Ich fühlte mich verdammt alleine. Ich merkte, einmal mehr, dass selbst freundliche Chefs viele ihrer Mitarbeiter nicht kennen und nicht kennenlernen wollen. Jeder meiner anderen Kollegen wusste, dass ich vieles war, aber eines sicher nicht: weinerlich.
Als ich, ein andermal, zu einem Interview mit einem Politiker ein schwarzes Tageskleid und Pumps trug, staunte mich der Büroleiter an, als habe er noch nie eine Schwangere im Businesslook gesehen, was nicht den Tatsachen entsprach. Er sagte, durchaus spöttisch: „Da hast du dich aber schick gemacht.“ Als ginge ich sonst in Sack und Asche! Aber das waren nur Begleiterscheinungen eines schwerwiegenderen Problems: Schon bald musste ich anfangen, um Themen zu kämpfen und zusehen, dass man mich nicht Monate vor der Zeit in Gedanken aussortierte, mich allzu herzlich „schonte“, wie es mein Vorgesetzter nannte. Ich glaube, zumindest er meinte es am Ende sogar gut. Aber es tat mir nicht gut. Mir ging es prächtig! Ich wollte arbeiten! Der politische Schlachtruf der Linken vom „Kampf um die Teilhabe“ für alle bekam für mich eine ganz spezielle Bedeutung: Lasst mich teilhaben! Ich bin nicht krank, ich bin nur schwanger!
Ich hätte Paul in diesen Tagen gerne mehr in meiner Nähe gehabt. Ich hätte den altväterlichen Kollegen gern den tollen Kerl vorgestellt, den ich heiraten würde und mit dem ich Zwillinge erwartete. Nach fast zehn Jahren war er hier, in meinem neuen Kollegenkreis wieder zum Phantom degeneriert.
Milla besuchte mich in Berlin. Sie war schmal, sah aber gelassen aus und hatte ihr Baby auf dem Arm, das eins der schönsten war, das ich je sah. Sie hatte es Greta Ingrid genannt, nach Garbo und Bergmann, die Carsten besonders verehrte. Ich nannte es darum spöttisch „Grein“.
„Nach Carsten kommt sie jedenfalls nicht“, sagte ich. Milla lächelte milde, was früher nicht ihre Art war, und antwortete, weniger milde: „Nein, das nun wirklich nicht.“
Wir trafen uns jetzt erstaunlich regelmäßig. Denn das Absurde war, dass sich Carsten verpflichtet fühlte, sein Kind, das er nie haben wollte, alle zwei Wochen zu sehen. Er wollte sich nicht drücken; er war da sehr protestantisch. So waren die beiden nun zwar getrennte Leute, führten aber weiterhin eine Wochenendbeziehung zwischen München und Berlin. Weil es nicht anders gut ging mit einem paar Monate alten Baby, wohnte er bei ihr in Schwabing, wenn das München-Wochenende anstand.
Ich fragte: „Das ist crazy, oder? Versucht er dich zurückzubekommen?“
„Ich glaube nicht.“
„Glaubst du. Willst du je wieder mit ihm zusammenkommen?“
„Ich weiß es nicht, echt nicht. Im Moment ist es so besser. Ich sehne mich endlich nicht mehr nach ihm.“
Milla würde in zwei Monaten Vorstand in ihrer Produktionsfirma werden und dort verantwortlich sein für große TV-Filme, Literaturverfilmungen und historische Stoffe. Carsten fand das, natürlich, bedenklich: mit so einem kleinen Kind! Aber er war zu anständig, um ihr noch ernsthaft reinzureden. Es war auch für alles gesorgt, die aussichtslose Suche nach einer Kinderkrippe perdu: Ihre Firma würde die Kosten für ihre Kinderfrau übernehmen. Es war ein modernes Märchen für Karriere-Frauen, ausgerechnet aus München. Ich mixteihr einen zu starken Sekt Aperol und stieß mit alkoholfreiem Prosecco mit ihr an.
Weil mehr als ein Kind in mir wuchs, hatte ich dauernd Ultraschalluntersuchungen. Ich hätte Paul gern dabei gehabt bei diesem Kinderfernsehen, bei der ersten „Feindiagnostik“ in der Charité zum Beispiel. Aber genau an diesem Tag konnte er einfach nicht aus Leipzig weg. So zog ich es allein in meiner Mittagspause durch.
Man erfährt bei solchen Gelegenheiten durchaus krude Dinge: dass die Gefahr eines Down-Syndroms für meine Föten bei 1 zu 3389 stehe (Dicke der Nackenfalte der Embryos mal Alter der Mutter durch Statistik im Computer ist gleich Wahrscheinlichkeit, oder so ähnlich). Oder dass es noch lange nicht gesagt sei, ob beide Hirnhälften der Babys anständig verbunden sind. Das stelle sich, sagte die hübsche junge Spezialistin lakonisch, erst in ein paar Wochen heraus. Fortsetzung folgt, sozusagen.
Bei der nächsten Sonderuntersuchung trabte ich wieder allein hin. Paul war traurig darüber. Aber es war die Zeit unserer irrwitzigen Hochzeitsvorbereitungen, und jeder freie Tag, den er sich zusätzlich zu den
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