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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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war, als wäre eine Tür zugeschlagen. Zwielicht hatte sich im Zimmer verbreitet und tauchte Max’ Gesicht in Schatten. In Samsons Kopf lief das Gespräch weiter.
    Und die Asche? Was habe ich damit gemacht? An irgendeiner Aussichtsstelle in den Wind gestreut?
    Die Asche?
    Ja.
    Erinnerst du dich nicht?
    Kann ich nicht behaupten.
    Hinter dem Haus.
    Unserem alten Haus? Wo jetzt andere Leute wohnen, vollkommen Fremde – dort habe ich sie gelassen?
    Nicht doch! Du hast sie begraben. Im Garten, unter dem Baum, wie heißt er noch?
    Die Magnolie?
    Richtig. Die Magnolie. Unter der hast du sie begraben.
    Wo wir den Hund begraben hatten? Ich habe ihre Asche im Garten bei dem Hund begraben?
    Ja, bei dem Hund.
    Und das war meine Idee?
    Was weiß ich?
    Machst du Witze?
    Nein, mache ich nicht. Nein. Weiter.
    Erinnerst du dich, Max? Weißt du, wer ich bin?
    Du?
     
    Max rührte sich nicht, sein Kopf ruhte auf der Brust. Er war eingeschlafen. Die ganze Prozedur war ihm zu viel geworden, also hatte er einfach den Kopf eingezogen und sich abgemeldet.
    Samson fuhr mit einem Finger über die Buchrücken, versuchte, sich zu beruhigen. Er überlegte, was Ray wohl jetzt gerade tat, ob er weitermachte mit seinem Projekt, ob er schon einen neuen Output am Flughafen abgeholt und den Mann in seinem schnieken weißen Cabrio nach Hause gefahren hatte. Ob er das ganze Spiel wieder von vorn durchspielte, samt Haus und Disteltee. Denn Ray glaubte wirklich an das Gute seiner Arbeit. Er würde den Mann als wertvolles Opfer für etwas Größeres betrachten; und er ließe ihn diesen Wert spüren. Einen kurzen Augenblick erwog Samson, jemanden anzurufen – die Polizei, irgendwelche Journalisten – und sie zu dem Labor in der Wüste zu führen, um den Mann vor Schaden zu bewahren und die ganze Sache als das bloßzustellen, was sie war, nämlich mitnichten ein Fortschritt, sondern eine traurige und gefährliche Angelegenheit. Aber wer würde auf ihn hören? Er war sich ziemlich sicher, wenn er nach Clearwater zurückkehrte, würde es spurlos verschwunden sein, über Nacht abgebaut und in Kisten verpackt, kein Fitzelchen mehr übrig. Wo es einst gestanden hatte, nur das leise Zischeln der Wüste. Vielleicht würde er eines Tages, irgendwann in der Zukunft, wenn seine Wut verflogen wäre und er – gestützt auf Erinnerung und Weisheit – mit ebenso überzeugender Eloquenz reden könnte wie Ray, den Doktor aufsuchen und ihm sagen, was für einen unmöglichen Fehler er gemacht hatte.
    Samson blieb vor den dicken schwarzen Bänden stehen. Mit beiden Händen zog er einen heraus und schlug ihn auf, erstaunt über sein Gewicht. Er blätterte die Seiten durch, Druckspalten deutscher Wörter. Ein Lexikon, das war alles, eine streng wissenschaftliche Ausgabe mit den ganzen Einzelheiten der endlosen Laufbahn jedes einzelnen Wortes. Beim Sprechen hatte Max einen kaum hörbaren Akzent, eine leise Härte, weich geschliffen wie vom Meer abgestumpftes Glas.
    Draußen ertönte ein durchdringender Klagelaut, der Taxifahrer drückte auf die Hupe. Samson stellte das Buch ins Regal zurück. Er begann, wie ferngesteuert zu agieren. Das Hupen ging weiter, während er mit automatischen Bewegungen seinem Großonkel wieder in die Schlafanzugjacke und in den Frotteemantel half. Max’ Augen flatterten, einen Augenblick setzte ihm der Atem aus, kam keuchend zurück wie bei einem schlaftrunkenen Kind.
    Du?
    Die vier Ansichten der italienischen Stadt an der Wand waren in Dunkelheit getaucht. Jetzt hörte das Hupen auf – Stille, die Segnung des Schweigens. Ein Tropfen Speichel sammelte sich in Max’ Mundwinkel. Brachten sie ihn hin und wieder an die frische Luft, ans Licht hinaus, fragte sich Samson. Schoben sie ihn einmal am Tag in den Innenhof, damit er die Sonne auf dem Gesicht spürte, die Blätter rauschen und die Tauben gurren hörte? War es wirklich möglich, dass er, Samson, seinen Onkel hierher gebracht hatte? Er wollte ihn jetzt nicht im Stich, ihn nicht allein und verborgen dem Tod entgegentreiben lassen. Er wünschte, er könnte sich um ihn kümmern, in seinen letzten Tagen bei ihm sein, sie beide zusammen irgendwo in einem Haus, wo Zeit wäre, zu reden – ja sogar Zeit, sich zu erinnern.
    Durchs Fenster färbte sich der Himmel in ein tiefer werdendes Blau, jener flüchtige Moment zwischen Tag und Nacht, in dem die alles einebnende Dunkelheit plötzlich in Unendlichkeit umschlägt. Samson pochte das Herz. In seinem Kopf raste es, obwohl er keinen klaren Gedanken

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