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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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Sarani sich, hatte ihm vorWeihnachten des Jahres 2000, zweieinhalb Monate vor dem geplanten Fest, geschrieben, er könne nicht kommen, er sei beim Schifahren auf dem Semmering gestürzt, habe sich überschlagen, sei auf den Hinterkopf gefallen, vermutlich habe er eine Gehirnerschütterung erlitten, die Folge sei eine tiefe Niedergeschlagenheit, aus der er nicht herausfinde, er vermute, das hänge mit dem Alter zusammen, man müsse sich damit abfinden, daß es mit einem zu Ende gehe.
    Sarani wußte bis auf diesen Tag nicht, was es mit jenem Sturz auf sich hatte. Er war zornig, daß der Österreicher nicht kam, denn damit fiel der Anlaß für das Fest weg, und er sagte es sofort ab, wiewohl er mit den Vorbereitungen längst begonnen hatte. Er hielt die vierzigjährige Freundschaft für außergewöhnlich, jeder war dem andern in Liebe und Respekt zugetan, ihre Interessen, sofern es durch die Berufe, der Österreicher war Schriftsteller, er Ingenieur, überhaupt Berührungspunkte gab, strebten zwar in verschiedene Richtungen, trafen sich aber doch auf unerklärliche Weise.
    Es beglückte ihn, ein Fest für beide zu planen, denn diese Freundschaft, auf die das Glas erhoben werden sollte, war für ihn ein Lebenselixier wie sonst nur Sophie. Und dann sagte der Kerl wegen eines Sturzes beim Schifahren ab – nach Saranis Meinung fuhr man Schi nur, um zu stürzen, also müßten Stürze für diesen Österreicher, diesen Schifahrer, seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung gestanden sein –, sagte ab wegen einer Gehirnerschütterung, die nicht einmal ärztlicher Behandlung bedurfte, und stimmte wieder dieses Gejammer an, daß es mit ihm zu Ende gehe, das Sarani um so mehr verabscheute, als er selbst es gern anstimmte. Manchmal war er soschwermütig, daß er, da er eine Ursache im Seelischen und Körperlichen nicht fand, sie im Alter suchte, im Herunterbrennen der Kerze, wie er dachte, die einem die einzige Wahrheit zuflackert, die sie zu bieten hat: daß sie nicht mehr lange brennt.
    Es war der letzte Brief, den der Österreicher ihm schrieb. Er erinnerte sich, nicht geantwortet zu haben, da er wütend war über die Absage, schließlich hatte er in die Planung des Festes bereits so viel Zeit und Geld investiert, daß seiner Ansicht nach der Österreicher hätte kommen müssen, sogar wenn er schon auf dem Sterbebett gelegen wäre.
    Die Selbstkritik, auf jenen Brief nicht geantwortet zu haben, schob er beiseite. Sie hatte keinen Platz in diesen wenigen Tagen, die er noch leben würde. Er war hungrig, er war durstig, er hatte keine Lust, auch noch selbstkritisch zu sein. Die Absage des Österreichers war für Sarani das erste Signal, daß jener die alte Freundschaft nicht nur brach, sondern auch verriet; daß der Österreicher ihm den Sohn zuerst entfremdet, dann geradezu entführt hatte, von Ägypten nach Europa, dann nach Amerika, und damit Saranis Lebenswerk, die Akademie, vernichtete, die der Sohn, wie ursprünglich vereinbart, auf eine solche Höhe bringen sollte, daß der praktische und theoretische Beweis für die Möglichkeit vernünftigen Wirtschaftens nicht mehr hätte geleugnet werden können.
    Vor dem Schiunfall hatte der Österreicher ihm einen Text geschickt mit der Anfügung, es handle sich um den Entwurf einer Geburtstagsrede, er bitte um eine kritische Antwort, es sollte doch ein Text entstehen, der den Ansichten beider Freunde gerecht werde.
    Sarani entschloß sich, diesen Entwurf ein allerletztes Mal zu lesen, ehe er aufbrechen wollte von seinem Schattenparadies, um zu dem Autohändler zu gehen und dann ohne Verzug zum Flughafen zu fahren. Er las:
    Es gibt kein richtiges Leben im falschen. In diesem blendenden Satz eines großen Philosophen sonnen sich jene, die es sich im falschen Leben eingerichtet haben, aus dem falschen Leben Gewinn ziehen und es als das richtige preisen. – Die anderen, zum falschen Leben verdammt, werden niedergedrückt von der Angst, daß ihnen die Arbeit, die ihnen gestern, zu welchem Lohn auch immer, zugeteilt wurde, morgen weggenommen wird, und sie dann nicht einmal ein falsches Leben haben. Ihr Verstand ist geknebelt von Angst, einzig ihr Lebenswille sagt ihnen, daß dieses Leben nicht das richtige ist. Wir beide, heute die Geburtstagskinder, sind insofern Glückskinder, als wir uns einbilden, nicht zu den einen und nicht zu den anderen zu gehören. Auch formulierten wir jenen Satz schon vor Jahren wagemutig um: Es gibt kein richtiges Leben im falschen, und umgekehrt. Es gibt auch kein

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