Komoedie des Alterns
Außerdem sollte er den Fremden instruieren. Vordringlich jedoch war die anfallende Arbeit, denn die war unaufschiebbar.
Er hatte eine Eisenstange in den Händen, ihr Durchmesser betrug einen Zentimeter, und mit der stand er am Rand eines elektrischen Hochfrequenzofens, in dem Edelstahl hergestellt wurde. Der Ofen ähnelte einem Brunnen, er war drei Meter in den Boden eingelassen, hatte einen Durchmesser von eineinhalb Metern, und vom Boden, der in diesem Teil der Halle ein gestampfter Lehmboden war, ragte der Ofen nur einen halben Meter empor als eine kreisrunde Mauer, innen ausgelegt mit feuerfestem Material, und in diesem riesigen Topf ohne Deckel kochte Stahl, dem im Abstand von fünf Minuten Edelmetalle und Chemikalien zugesetzt wurden, die schon bereitstanden, um von Heinrich in den glühenden Brei geworfen zu werden, woraufhin seine eigentliche Tätigkeit einsetzte. Er hielt die Eisenstange auf die Oberfläche des kochenden Stahls, der sich nach und nach in eine wertvolle Legierung verwandelte, und fischte nach Schlacke.
Ich fischte nach Schlacke. Was für ein Satz, dachte Freudensprung. Er hielt nach dem Steward Ausschau, denn er hätte gern noch ein Glas Wasser bekommen, doch der zeigte sich nicht, er eilte wohl nur herbei, wenn jemanddie Verhaltensregeln, die über Lautsprecher durchgegeben wurden, verletzte, und das hätte er, Freudensprung, gewiß noch einmal tun können und hätte damit Anspruch auf ein weiteres Glas Wasser und eine zweite Beruhigungstablette erworben, schließlich hielt der Steward ihn für verwirrt, und zur Verwirrtheit gehört, das Sonderbare, das man einmal getan hat, ein zweites Mal tun zu müssen, andernfalls man als Verwirrter nicht ernstgenommen wird. Freudensprung aber verspürte keine Lust, sich noch einmal in den Mittelgang hinauszudrängen.
Er hatte damals, erinnerte er sich, die vorbereiteten Metalle und die anderen Zusätze überstürzt in den Ofen geworfen, die Eisenstange wieder in die Hand genommen, hatte den Burschen aber auch, um ihm nicht Anweisungen ins Ohr brüllen zu müssen, am Arm gefaßt, zum Ofen gezogen, ihm eine Eisenstange in die Hand gedrückt und ihm die Hand so geführt, daß die Spitze der Stange die Schlacke berührte, woraufhin im Bruchteil einer Sekunde Schlacke und Eisen verschmolzen.
Mit einer kleinen, geschickten Bewegung entwand der Fremde seine Hand Heinrichs Führung und tat aus eigenem, was zu tun war. Er war nur scheinbar abseits gestanden, tatsächlich aber hatte er Heinrich bei der Arbeit so genau beobachtet, daß er nun selbst das Richtige tat: Er hob die Eisenstange, deren Spitze sich mit der Schlacke zu einem tennisballgroßen Klumpen verfestigt hatte, und schwenkte sie über den Ofen hinaus zu einem Amboß, auf den er die verklumpte Spitze schlug, worauf sie klirrend absprang, und die wenig verkürzte Eisenstange schwang er zurück in den Ofen, auf dessen Oberfläche sich schon wieder Schlacke gebildet hatte.
Heinrich bedeutete dem Fremden mit großen Gesten, sich weiter auf die neugebildete Schlacke zu konzentrieren, die, entfernte man sie nicht, sich unverzüglich ausbreiten würde, dann nicht mehr zu bewältigen wäre, mit der Folge, daß Schlackenteile absänken, sich als taube Nüsse innerhalb des edlen Metalls manifestierten und die gesamte tonnenschwere Legierung, die sich im Ofen befand, verdürben.
Das riefe einen Schaden hervor, Freudensprung wußte das, im Flugzeug sitzend, noch so genau wie damals, den die Firma vielleicht verkraften könnte, der Heinrich aber, der Betriebsleiter hatte ihm mit einem Schillingbetrag in Millionenhöhe gedroht, zum Verhängnis werden könnte, vermutlich auch dann, wenn der Fremde einen Fehler beginge, da er, Heinrich, vorderhand für ihn verantwortlich war. Er müßte für den Schaden geradestehen und wäre, so hatte er gedacht, mit siebzehn, egal, wie lange er noch lebte, schon bis ans Ende seiner Tage verschuldet. Diese Vorstellung hatte ihn außerordentlich belustigt. Siebzehn zu sein und bereits finanziell ruiniert. Damals entschied er sich für das Glück, nie etwas zu besitzen, so daß er nie in der Angst leben müßte, es könnte ihm etwas genommen oder, was er mehr fürchtete, er könnte zur Verantwortung gezogen werden.
Der Fremde hatte mit der Spitze der Eisenstange die Schlacke eingefangen, er schwang sie heraus aus dem Ofen, schlug sie auf den Amboß, wandte sich rasch der glühend kochenden Oberfläche zu, auf der sofort wieder Schlacke entstanden war, fing diese mit der
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