Komoedie des Alterns
interessierte.
Der Betriebsleiter des Stahlwerks, der, den Burschen neben sich, auf Heinrich zugegangen war, schrie ihm ins Ohr, anders konnte man sich nicht verständigen, der Neue arbeite nun mit ihm, er heiße Sarani. Wie? fragte Heinrich. Sarani! schrie der Betriebsleiter. Freudensprung solle ihm zeigen, was zu machen sei. Daraufhin wandte er sich dem Burschen zu und rief, daß der hier, der Freudensprung, ein Ferialpraktikant, nun für ihn der Vorarbeiter sei.
Dem Mann, mit dem Heinrich seit sechs Uhr morgens den Hochfrequenzofen mit verschiedenen Metallen beschickt hatte, brüllte der Betriebsleiter etwas zu, worauf der sich umdrehte und hinüberging zum HochofenNumero V, wo, wie Heinrich bei Schichtbeginn bemerkt hatte, ein Mann fehlte, so daß die drei Arbeiter vor dem Problem standen, wie jeweils zwei, die unter unerträglicher Hitze arbeiteten, nach zwanzig Minuten von zwei anderen abgelöst werden sollten.
Heinrich wollte den Neuen, kaum daß er ihn gefunden hatte, nicht sogleich verlieren, wenn er auch begründete Sorge hatte, daß der im Stahlwerk keine Schicht, keine acht Stunden, bleiben würde. Nachdem ihre Blicke in freundlichem Einverständnis aufeinandergetroffen waren, schaute der Bursche zuerst hinter sich, plötzlich nach oben, dann seitwärts, immer dorthin, wo es dröhnte, krachte, zischte – produktionsbedingt . Dieses Wort, im Stahlwerk gern verwendet, zählte bald zu den Lieblingswörtern der beiden.
Hier war alles produktionsbedingt, es war so, weil es nicht anders sein konnte: Staub, Dampf, Lärm. Die Halle bebte mitsamt den Fundamenten, was sich auf die Körper der Arbeiter übertrug, die einerseits den gewaltigen Prozeß verursachten, andrerseits dessen Folgen hilflos ausgesetzt waren, was sie mehr zu genießen als zu bedauern schienen. Auch wirkten sie, wenn sie winzig vor den mächtigen Schmelzöfen standen oder unter den gewaltigen Krananlagen gingen, mit tonnenschweren Lasten über ihren Köpfen, als das Überflüssigste in dieser Halle, was aber ihrem Selbstbewußtsein, wie Heinrich bewundernd beobachtete, keinen Abbruch tat.
Er hatte, als er dem Fremden gegenüberstand, zu verstehen versucht, warum der so erschrocken umherschaute. Ihm wurde nicht klar, was in dem anderen vorging – er begriff aber, wie er selbst beschaffen sein mußte, daß er den Zustand im Stahlwerk als das Normalste auf derWelt empfand, weniger weil er schon zum drittenmal hier Ferialarbeit machte, sondern weil er von Geburt an nur ein paar hundert Meter entfernt von der Fabrik lebte, von der aus der Lärm sich in die Häuser und Wohnungen übertrug, insbesondere die Schläge des Erlach-Hammers, wenn dieser, weltweit der größte seiner Art, auf einen glühenden Stahlblock niedersauste, um ihn zu formen, was nicht nur die Häuser, sondern das ganze schmale Tal, scheinbar von der Natur vorgesehen als Einfassung für ein riesiges Werk und für die Unterkünfte der Arbeiter und Ingenieure, zum Erzittern brachte.
Daß die Gläser in der Küchenkredenz tanzten, nachdem der Hammer gegen ein Werkstück gedonnert war, gehörte für Heinrich zum Alltag. Diese Fabrik, so hatte er sich angesichts des erschrockenen Fremden gedacht, in der Tag und Nacht Stahl in Formen gegossen wurde, formte auch ihn, seinen Kopf, seine Seele, seinen Körper, so daß er die Fabrik, lange bevor er sie zum erstenmal betreten hatte, als Teil seiner durchaus liebenswerten Umwelt betrachtete, wie Landkinder den Stall und die Blumenwiese als liebenswert empfinden oder Stadtkinder das Eisgeschäft und den Ententeich.
Der Betriebsleiter war vor den Zumutungen der Werkshalle zurück in das Bürogebäude geflüchtet. Heinrich blieb mit dem Fremden allein und redete ihm zu, nur ja nicht wegzugehen, er sehe ihm an, daß er nicht willens war, in dieser Lärm-, Gestank- und Staubhölle zu arbeiten, rate ihm aber, dem ersten Eindruck zu mißtrauen, der Fremde solle – Heinrich habe zwar kein Recht, von ihm etwas zu erbitten, tue es aber dennoch – zumindest eine Stunde ausharren. Die Arbeit sei nicht schwer, schrie er ihm ins Ohr, außerdem gut bezahlt, es sei abersehr heiß an diesem Ofen, doch daran gewöhne man sich nach einer Stunde. Der Fremde sagte nicht, ja, er bleibe, wichtiger jedoch, er sagte auch nicht, nein, er gehe. Was es Heinrich leichter machte, in seiner Arbeit, die ohnehin zu tun war, fortzufahren. Er mußte sie, da der Betriebsleiter Heinrichs bisherigem Kompagnon eine andere Arbeit zugeteilt hatte, vorderhand allein machen.
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