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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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Stange ein, brachte sie heraus, schlug sie ab und konzentrierte sich auf die neue Schlacke, und so ging es – Heinrich als einem in diesen Rhythmus eingespannten Arbeiter wardas nicht bewußt gewesen – in atemberaubendem Tempo dahin.
    Es war nicht Schweiß, der aus den Poren drang, es war Wasser, das aus dem Körper schoß, so daß es am besten gewesen wäre, nackt dort zu stehen, was allerdings seine Tücken gehabt hätte. Auch war die Vorschrift, was an Schuhwerk zu tragen sei, rigoros. Um die Füße mußte man Papier wickeln, das die Firma zur Verfügung stellte, große Rollen lagen in der Garderobe, denn jeder nahm jeden Tag neues Papier, wie es von der Firma empfohlen wurde, und mit den umwickelten Füßen stieg man in die eigens für Hitzebetriebe angefertigten Sicherheitsschuhe, denen man auf den ersten Blick ansah, daß sie absolut sicher, aber auch von unübertrefflicher Derbheit waren: hartes Leder, an dem der bloße Fuß sich im Gehen alsbald wundgerieben hätte, eine drei Zentimeter dicke Holzsohle, flach wie ein Brett, weshalb es Tage brauchte, um mit diesen Schuhen zielstrebig gehen zu können, und zielstrebig hieß, im entscheidenden Augenblick ein paar schnelle Schritte oder einen Sprung zu machen, um in der Werkshalle einer tödlichen Gefahr zu entrinnen.
    Am Leib aber trug man, was man wollte, man hätte auch mit kurzen Hosen und einem Unterhemd am Ofen stehen können, wäre dann aber bald mit Brandwunden übersät gewesen, denn der kochende Stahl spritzte, während sich die Schlacke bildete, Glutteilchen nach allen Richtungen, so daß die Arbeiter sich mit Kleidung aus kräftigem Stoff schützten, die, das war das wichtigste, nicht am Körper anliegen durfte. Denn selbstverständlich brannte die Glut Löcher in den Stoff, weshalb die Arbeiter nur altes Zeug trugen, was auf Heinrich, als er zum erstenmal die Fabrik betrat und diefetzenbehangenen Gestalten durch die Werkshalle schlurfen sah, den Eindruck machte, als wäre das Stahlwerk keine moderne Produktionsstätte, sondern ein Unterstand für Gestrandete, bis ihm klar wurde, daß alles, was man am Körper trug, einem ungeheuren Verschleiß unterlag, einerseits durch Funkenflug, andrerseits weil man unaufhörlich schwitzte, so daß jedes Hemd, jede Hose sowohl von außen als auch von innen fortwährend angegriffen wurde. Der Fremde machte seine Arbeit ausgezeichnet, er hatte zwar Mühe, mit den monströsen Arbeitsschuhen nicht zu stolpern, es gab auch keinen Zweifel, daß er das adrette blaue Schlossergewand, das er wohl in einem Fachgeschäft erworben hatte, infolge Brandschäden nach zwei Tagen werde wegwerfen müssen, und doch war Heinrich zuversichtlich, der Fremde würde bleiben. Heinrich würde nach der Arbeit mit ihm ins Gespräch kommen, würde erfahren, warum es ihn in dieses Gebirgstal, in dieses Stahlwerk verschlagen hatte.
    Der Fremde aber, als wollte er Heinrichs Hoffnung auf der Stelle zerstören, wankte zur Seite, seine Knie gaben nach, und er fiel nach hinten. Blitzschnell sprang Heinrich zu ihm, faßte ihn an den Schultern und verhinderte, daß der andere mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufschlug. Er schleifte ihn weg vom Ofen, bettete den Kopf auf seine rechte Hand, die Augen des Fremden waren geschlossen, das Gesicht, dessen südländische Tönung Heinrich veranlaßt hatte, von dem jungen Mann als von einem Fremden zu sprechen, war totenblaß, hilfesuchend blickte Heinrich um sich, die Arbeiter, die am nächsten Hochofen schufteten, waren damit beschäftigt, den unersättlichen Schlund des Ofens mit Rohmaterial zu füttern, er schrie um Hilfe und wußte, daß einemenschliche Stimme sich gegen den Fabriklärm nicht durchsetzen konnte.
    So entschied er sich, Hilfe zu holen, zog seine Hand unter dem Kopf des Fremden hervor, hastig, nervös, denn er wähnte das Leben des jungen Mannes in Gefahr, der Kopf schlug leicht auf, und in diesem Augenblick öffneten sich die Augen des Fremden. Ich habe nicht so viel Zeit! sagte er, bestimmt, deutlich, aber auch klagend, und Heinrich dachte, der rede wirr, war froh, daß er lebte, erschrak jedoch darüber, daß niemand am Ofen stand und die Schlacke herausholte, lief weg vom Fremden, ergriff eine Eisenstange, hielt sie hinein in den Schlackenteich, der inzwischen angewachsen war auf den Durchmesser eines Brotlaibs, und mußte fünfmal nach der Schlacke fischen, bis er sie entfernt hatte.
    Der Fremde lebte, der Stahl war gerettet, Heinrich rannte zu dem Kollegen, der vor einigen Minuten

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