Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
Vom Netzwerk:
einem anderen Hochofen zugeteilt worden war, erklärte ihm die Notlage, der erklärte sie dem Vorarbeiter und der zeigte Verständnis, indem er beiden mit einer wegwerfenden Handbewegung bedeutete, sie mögen ihn mit dieser Lappalie nicht behelligen.
    Der Fremde lag nicht mehr auf dem Boden, er hatte sich aufgesetzt, konnte aber aus eigener Kraft nicht aufstehen. Heinrich half ihm dabei, der Fremde stützte sich auf ihn, was ihm äußerst unangenehm war, fortwährend versuchte er, aus eigener Kraft vorwärtszukommen, doch immer wieder mußte er sich mit beiden Händen an Heinrichs Arm klammern, und so schleppten sie sich durch die Werkshalle bis zu dem von den Arbeitern Teehaus genannten Raum, einem Aufenthaltsraum, ausschließlich Hitzearbeitern vorbehalten – die Kranfahrer hattenkein Zutrittsrecht –, unmittelbar an die Halle grenzend, aber mit Wänden aus dünnem Holz notdürftig vor Lärm und Hitze geschützt.
    Hier gab es, in zwei großen Behältern, Tee, den die Firma kostenlos zur Verfügung stellte, denn die Regelung der Arbeitszeit für Hitzearbeiter, die jedem bekannt und sogar in den Umkleideräumen plakatiert war, lautete, daß man nicht länger als zwanzig Minuten am Ofen arbeiten durfte, worauf man, um den enormen Flüssigkeitsverlust des Körpers auszugleichen, zwanzig Minuten pausieren und in großen Mengen Tee trinken sollte, ein Ratschlag der Firma, der nur von wenigen Alten und einigen Jungen wie Heinrich befolgt wurde.
    Das Lieblingsgetränk der Hitzearbeiter war Bier, und wenn auch im gesamten Werksbereich Alkoholverbot galt, betraf das die Hitzearbeiter damals noch nicht, was einige Übermütige, die in der Einbildung lebten, das Stahlwerk stünde ohne sie still, ermunterte, vor Schichtbeginn am verärgerten Werksportier, der darauf zu achten hatte, daß kein Tropfen Alkohol aufs Werksgelände gebracht wurde, vorbeizuspazieren, in der einen Hand den Beutel mit Brot und Speck, in der anderen, als wäre sie federleicht, eine Kiste Bier. Die meisten betraten den Ruheraum nicht, man setzte sich abseits der Öfen irgendwo hin, auf eine leere Bierkiste, auf eine Kokille, man saß in kleinen Gruppen zusammen wie zum Gespräch, obwohl man wegen des Lärms sich nur schreiend hätte verständigen können.
    Heinrich hatte großen Respekt vor diesen Männern, aber auch Scheu, ihnen zu nahe zu kommen und in den Bann ihrer Stummheit zu geraten, denn damals, mit siebzehn, nach Jahren der Selbstgespräche, in denen er sichzu einigen Erkenntnissen hatte durchringen können, vor allem das Jenseits, aber auch das Diesseits betreffend, sehnte er sich nach Gesprächen mit anderen, um zu überprüfen, ob er in seinen Selbstgesprächen über Gott, die Eltern, das Althergebrachte in die Irre gegangen war. Der Fremde, hoffte er, würde ein Gesprächspartner sein; vorausgesetzt, er bleibe in diesem Werk, in dieser Stadt, in diesem Tal, was nun höchst ungewiß war.
    Heinrich Freudensprung hob den Kopf und schaute mißtrauisch um sich, um festzustellen, wo er wirklich war: nicht neben einem Hochfrequenzofen, sondern im Flugzeug. Er fühlte, wie die Energie, die er in den vergangenen Stunden gesammelt hatte, schwand, und er wußte nicht, was dagegen zu unternehmen sei, er wußte nur, daß er Kraft brauchte, um dem Feind entgegenzutreten.

4
    Der Flughafen
    Zacharias Sarani hatte sich in der Wartehalle des Flughafens auf eine Bank gesetzt. Wie er dasaß, regungslos, ähnelte er einem Stein mehr als einem Menschen. Die Augen waren tief in den Kopf gesunken, lagerten dort als Höhlenmalerei, und es glomm in ihnen nur insofern eine Spur von Leben, als Hoffnungslosigkeit aus ihnen sprach. Sarani stierte auf den grauen, zerkratzten Boden. Der Kunststoffbelag hätte, wäre es nach Sarani gegangen, noch schäbiger sein müssen. Die Bank, auf der er saß, war aus Beton und hatte nicht einmal eine Rückenlehne.
    Er wartete auf den Österreicher. Und er wartete nicht . Er ging davon aus, daß der Lump sein Wort gebrochen hatte. Ja, er sah ihn vor sich, wie er, in New York geblieben, auf den Scherben des Versprechens herumtanzte. Der Österreicher, meinte er, sei gar nicht abgeflogen. Das wäre Sarani auch das liebste. Im andern Fall, würde der Österreicher mit dem Flugzeug ankommen, werde er bald hier stehen, um Fassung ringen und nach einem Begrüßungswort suchen, doch die Schuld werde ihn dermaßen drücken, daß er unverzüglich seine Untat eingestehen müsse. Das aber wäre nicht in Saranis Sinn.
    Denn auf ein Geständnis

Weitere Kostenlose Bücher