KON-TIKI
zur Osterinsel zu segeln. Warum sollte den mutigen Erbauern dieser seetüchtigen Segelboote, innerhalb mehrerer Jahrhunderte, in denen sie Pyramiden erbaut hatten, nicht dasselbe gelungen sein?
Anders als Pyramiden, sinken oder verrotten alte Boote. Mit unseren Ozeanüberquerungen hatten wir bewiesen, daß vorgeschichtliche Seefahrt möglich gewesen war, wenn auch die alten Spuren verwischt waren. Es gab immer noch Stimmen, die behaupteten, daß, auch wenn die Seetüchtigkeit der Wasserfahrzeuge bewiesen worden war, voreuropäische Seefahrer doch wohl vorgezogen hatten, nur in Sichtweite des Festlandes zu segeln.
Der Gegenbeweis wurde 1982 erbracht, als ich zum ersten Mal auf Entdeckungsreise zu den kleinen Malediveninseln, weit draußen im Indischen Ozean, kam. Während der letzten zehn Jahre wurde dieser Archipel vom Flug-Massentourismus überfallen, und da er so weit entfernt von jedem Festland liegt, konnte niemand ahnen, daß er ein archäologisches Paradies sei.
Die Geschichte der Malediven begann im Jahre 1153 mit der Ankunft moslemischer Araber, über drei Jahrhunderte vor Kolumbus' Zeiten. Jede Art von menschlichen Abbildungen war bei den moslemischen Arabern streng verboten. Ich wurde gebeten, mir eine große Steinstatue mit langen, aus der Erde hervorragenden Ohren, anzusehen, die ein paar Insulaner gefunden hatten. Ich eilte zu der Stelle, wo religiöse Fanatiker bereits alles - außer den Kopf - verwüstet hatten. Es war ein großer, schöner Buddha-Kopf. Die Buddhisten waren also schon vor den Arabern hier gewesen. Mit meinem Freund Skjölsvold und anderen Archäologen der Osloer Universität begann ich nun, diese Ozeaninseln zu erforschen.
Wir fanden einen steinernen Kopf des rüsselnäsigen Wassergottes Makara, und die Insulaner selbst gruben Statuen aus, die die grinsende indische Teufelsgöttin Shiva, mit langen Ohren und aus dem Mund herausgestreckter Zunge und Raubtierzähnen, darstellten. Die Hindus waren hier also noch früher als die prähistorischen Buddhisten gewesen.
Auf Gaaf-Gan, einer unbewohnten Dschungelinsel, genau auf der Höhe des Äquators gelegen, fanden wir einen quadratischen Pyramidentempel, der noch neun Meter aus der Erde herausragte. Er war von vorgeschichtlichen Sonnenanbetern errichtet worden und von allen vier Seiten von Rampen umgeben, die reichlich mit Sonnensymbolen geschmückt waren. Der Tempel war astronomisch exakt nach der Sonne ausgerichtet. Das Dekor enthielt Löwenskulpturen und das Relief eines Ochsen. Einen konkreteren Beweis für vorgeschichtliche Seefahrt hätten wir uns nicht wünschen können.
Die Kon-Tiki-Expedition hatte mir offenbart, was der Ozean wirklich ist. Er ist eine verbindende und keine trennende Macht. Der Ozean war des Menschen erster Verbindungsweg von den Tagen an, als es ihm gelungen war, die ersten Schiffe zu bauen - lange bevor er Pferde zähmte, Räder erfand und Wege durch den Dschungel schlug.
April 1985
Thor Heyerdahl
l Eine Theorie
Ein Rückblick. Der Alte auf Fatuhiva. Wind und Strömung. Auf der Jagd nach Tiki. Woher kamen die Polynesier? Rätsel der Südsee. Theorien und Tatsachen. Legenden um Kon-Tiki und die weiße Rasse. Kriegsausbruch.
Ein Mensch kann sich manchmal in merkwürdigen Situationen wiederfinden. Er kann geradewegs und auf die natürlichste Weise hineingeraten sein. Aber wenn er dann drinsteckt, wundert er sich plötzlich sehr und fragt sich, wie er das nur fertiggebracht hat.
Es soll zum Beispiel vorkommen, daß einer auf einem Floß in See sticht mit einem Papagei und fünf Kameraden an Bord. Da ist es dann unausbleiblich, daß er - früher oder später - eines schönen Morgens draußen auf dem Meer erwacht, vielleicht ein wenig besser ausgeruht als gewöhnlich, und nachzudenken beginnt.
So saß ich an einem solchen Morgen und schrieb in ein durchfeuchtetes Logbuch:
»17. Mai. Schwere See. Guter Wind. Heute bin ich Koch und fand sieben fliegende Fische auf Deck, einen Tintenfisch auf dem Dach und einen unbekannten Fisch in Torsteins Schlafsack . . .«
Da stockte der Bleistift, und der Gedanke schlich sich ein: Es ist im Grunde ein komischer 17. Mai, ja, im ganzen genommen auch ein höchst eigenartiges Dasein - nichts als Himmel und Meer rundum. Wie fing das eigentlich an?
Wenn ich mich nach links wendete, hatte ich freien Ausblick auf die mächtige blaue See mit ihren schäumenden Wogen, die sich in endlosem Lauf vorbeiwälzten, einem ewig weichenden Horizonte nach. Wenn ich mich nach rechts
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