KON-TIKI
Saumpfad ein, der sich mit vielen Windungen nach Westen über Berg und Tal in die Andenketten hineinschlängelte. Wir kamen in eine Welt, die zu erleben wir uns nie hätten träumen lassen. Es war die ureigenste Welt der Bergindiander, ein Märchenland jenseits von Zeit und Raum. Auf der ganzen Fahrt sahen wir weder Wagen noch Rad. Bloßfüßige Hirten, die, in farbenreiche Ponchos gehüllt, verwirrte Herden von steifbeinigen, würdigen Lamas vor sich hertrieben, stellten den ganzen Verkehr dar. Manchmal kamen auch Indianer familienweise die Straße entlang. Der Mann ritt meist selbstherrlich auf einem Maultier voraus, während seine kleine Frau mit ihrer ganzen Sammlung von Hüten auf dem Kopf und dem Jüngsten der Familie auf dem Rücken hinterhertrippelte und dabei unterm Gehen noch mit flinken Fingern Wolle spann. Hinterdrein trotteten bedächtig Esel und Maultiere, beladen mit Flechtwerk, Binsen und Töpferwaren.
Je länger wir fuhren, desto weniger Indianer verstanden Spanisch, und bald waren Agurtos Sprachkenntnisse ebenso nutzlos wie unsere eigenen. Hie und da lag eine Schar von Hütten oben auf den Bergen. Nur noch selten waren sie aus Lehm gebaut und häufig und immer häufiger aus Büscheln von getrocknetem Gras zusammengesetzt. Es schien, als seien sowohl die Hütten als auch das braungebrannte, zerknitterte Volk, das sie bewohnte, derselben Erde entwachsen, dem kargen Andenboden, auf dem die Bergsonne glühte. Sie gehörten zu Erde und Fels, so natürlich wie die Pflanzen selbst. Arm an irdischen Gütern und klein von Wuchs, haben die Bergindianer die zähe Gesundheit des Wildes und den wachen Kindersinn der Naturmenschen. Je weniger sie mit uns sprechen konnten, desto fröhlicher lachten sie uns an. Strahlende Augen und schneeweiße Zähne leuchteten uns aus allen Gesichtern, die wir sahen, entgegen. Nichts erinnerte daran, daß ein weißer Mann in diesen Gegenden je Geld verloren oder verdient hatte. Hier gab es weder Reklameschilder noch Wegweiser, und wenn wir eine Blechbüchse oder einen Fetzen Papier an den Straßenrand warfen, so wurden sie gleich als brauchbares Hausgerät aufgesammelt.
Wir fuhren über sonnenverbrannte Hänge ohne Busch oder Baum und wieder hinunter in Täler mit Wüstensand und Kakteen, bis wir noch höher kletterten und schließlich den obersten Kamm erreichten. Schneefelder umgaben uns, und der Wind war so beißend kalt, daß wir, wollten wir nicht zu Eiszapfen erstarren, die Fahrt verlangsamen mußten. So saßen wir frierend in unseren Hemden und sehnten uns nach der Dschungelwärme. Aber wir mußten noch lange Strecken fahren, an den Kämmen entlang, über Steilhänge und Grasflecken, und immer wieder nach der nächsten Wegspur suchen. Als wir dann den Westabfall erreichten, wo die Andenkette unvermittelt hinab ins Tiefland stürzt, da war ein schmaler Saumpfad entlang der Abhänge in den brüchigen, lockeren Fels hineingeschlagen, und Schluchten und Abgründe umgaben uns allerorten. Wir setzten unser ganzes Vertrauen auf unseren Freund Agurto, der aussah, als würde er jeden Augenblick über dem Steuerrad einnicken. An allen Abgründen nahm er grundsätzlich die äußere Bahn. Plötzlich fuhr uns ein mächtiger Windstoß entgegen. Wir hatten den äußersten Höhenzug des Andenrückens erreicht, an dem der Fels in steilen Wänden abbricht, senkrecht hinunter in die Dschungeltiefe, die wir in einem bodenlosen Abgrund, viertausend Meter unter uns, ahnten. Aber wir wurden um den schwindelnden Ausblick über das Dschungelmeer betrogen, denn als wir den Abgrund erreichten, wälzten sich eben dicke Wolkenbänke herauf wie Dampf aus einem Hexenkessel. Dafür ging es nun ungehindert hinunter in die Tiefe, ständig bergab in steilen Kurven, an Schneiden und Graten entlang. Dabei wurde die Luft feuchter und wärmer und sättigte sich immer mehr mit dem schweren und erschlaffenden Treibhausdunst aus der Dschungelwelt da unten.
Dann begann der Regen, zuerst langsam, aber bald stürzte er nur so herunter und schlug mit Trommelschlagen auf den Jeep. Das Schokoladewasser rann bald rund um uns auf allen Seiten den Abhang hinunter. Wir flossen förmlich mit hinab. Von den trockenen und kahlen Bergflanken hinter uns kamen wir in eine andere Welt, wo Stock und Stein und Lehmwände überquollen von Moos und grünen Pflanzen. Blätter schossen nur so in die Luft. Bald wurden sie zu mächtigen Riesenfächern, die wie grüne Regenschirme tropfnaß über den Berg hinaushingen. Dann kamen die
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