KON-TIKI
mit unwandelbarer Energie voran.
Die Steuerung bedeutete augenblicklich unser größtes Dilemma. Das Floß war wohl genauso gebaut, wie es die Spanier beschrieben, aber heutzutage konnte uns kein Mensch mehr einen praktischen Einführungskurs im Segeln auf Indianerflößen geben. Das Problem war zwar unter den Experten an Land gründlich diskutiert worden, aber mit mageren Resultaten. Sie verstanden genauso wenig davon wie wir selbst.
Da der Südost rasch an Stärke zunahm, wurde es notwendig, den Kurs des Floßes so zu halten, daß das Segel von achtern gut gefüllt wurde. Wenn das Floß die Seite zu stark gegen den Wind drehte, schlug plötzlich das Segel um und drängte auf Last und Volk und Hütte, während sich das ganze Floß wendete und denselben Kurs zurück nahm. Das wurde ein schwerer Gefechtsgang, wenn dann drei Männer mit dem Segel rauften und die drei anderen an dem langen Steuerruder arbeiteten, um die Nase des Floßes herum - und wieder an den Wind zu bekommen. Und sobald wir es fertiggebracht hatten, mußte der Steuermann aufpassen wie ein Schießhund, daß nicht im gleichen Augenblick das ganze Theater von vorn losging.
Das sechs Meter lange Steuerruder lag frei zwischen zwei Haltepflöcken auf einem mächtigen Klotz am Achterende. Dasselbe Steuerruder hatten unsere eingeborenen Freunde gebraucht, als wir den Palenque-Fluß in Ecuador hinuntergetrieben waren. Die lange Stange aus Mangleholz war zäh wie Stahl, aber schwer genug, um wie ein Stein zu sinken, wäre sie über Bord gegangen. Am Ende der Stange war ein großes Ruderblatt aus Kiefernholz mit einem Tau festgebunden. Es nahm alle unsere Kräfte in Anspruch, dieses lange Steuerruder festzuhalten, wenn die Wogen dagegen schlugen, und die Hände wurden von dem krampfhaften Griff müde, mit dem wir den Schaft umklammerten, damit das Ruderblatt senkrecht in die See niedertauchte Dieses letzte Problem wurde gelost, als wir einen Querstock am Handgriff des Steuerruders befestigten, so daß ein Hebelarm entstand, an dem wir drehen konnten Dabei versteifte sich die Brise ständig.
Schon am Nachmittag blies der Passat mit voller Starke. Bald wühlte er das Meer in brausende Seen auf, die sich von achtern über uns stürzten. Erst jetzt wurde uns allen klar, daß hier das Meer selbst uns entgegenkam. Jetzt war es ernst. Alle Brücken waren abgebrochen. Ob es gut gehen wurde, das hing ganz allein von der Seetüchtigkeit des Balsafloßes ab.
Wir wußten, von jetzt ab würden wir nie wieder den Wind aufs Land zu bekommen und damit auch keine Chance, je wieder umzukehren. Wir waren mitten in den Passat hineingekommen, und jeder Tag würde uns weiter und weiter hinaus aufs Meer führen. Es lag nur mehr daran, jetzt mit vollen Segeln durchzuhalten. Selbst wenn wir versuchen sollten, die Nase heimwärts zu drehen, so wurden wir trotzdem rücklings aufs Meer hinaustreiben. Es gab nur mehr einen einzigen Kurs den Wind von achtern zu nehmen, den Bug gegen Sonnenuntergang gerichtet. Das war ja schließlich und letzten Endes der Sinn unserer Fahrt. Wir wollten der Sonne auf ihrem Weg folgen, wie Kon-Tiki und die alten Sonnenanbeter es einmal gemacht hatten, wenigstens unserer Meinung nach, als sie von Peru aufs Meer getrieben wurden.
Wir bemerkten mit Triumph und Erleichterung, wie sich das Floß über die ersten drohenden Wogenkämme schwang, die wider uns schäumten. Aber es war unmöglich für den Steuermann, das Ruder festzuhalten, wenn sich brausende Seen über ihn wegwälzten und das Ruder aus dem Widerlager hoben oder es zur Seite drückten. Dann wurde er herumgeschleudert wie ein hilfloser Akrobat. Selbst zwei Mann zugleich
Steuerwache: Wir teilen den Tag in zweistündige Wachen am Steuerruder. Türmen sich auch die Seen in Masthöhe vor uns auf, wir entgehen ihnen doch, wenn der Wind von achtern gegen die Backbordseite kommt. Der Kapitän des Floßes am Ruder.
Oben: In voller Fahrt bei steifer Brise.
Unten: Sturzsee über uns. Blick vom Mast auf die Steuerwache.
konnten das Ruder nicht festhalten, wenn sich die Seen gegen uns erhoben und sich über die Steuerwache am Heck ergossen. So verfielen wir darauf, Stricke vom Ruderblatt zu jeder Seite des Floßes zu ziehen. Mit anderen Tauen banden wir das Ruder in seinem Widerlager fest, so daß ihm nur mehr eine begrenzte Bewegungsfreiheit verblieb. Auf diese einfache Art konnten wir auch den schwersten Seen trotzen, wenn wir uns nur selbst festzuhalten vermochten.
Als sich die Wellentaler
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