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KON-TIKI

KON-TIKI

Titel: KON-TIKI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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hatte ich die Passatwolken auf Fatuhiva kennengelernt. Nicht anders waren sie auch über uns an Bord der »Kon-Tiki« Tag und Nacht dahingezogen. Doch die einzelne Wolke am Horizont da drunten im Südwesten bewegte sich nicht. Ruhig stand sie wie eine Säule aus Wasserdampf, während die Passatwolken vorbeitrieben. Kumulonimbus ist der lateinische Name für diese Wolkenart. Das wußten zwar die Polynesier nicht, aber sie wußten, daß unter solchen Wolken Land liegt. Wenn nämlich die Tropensonne über heißem Sand brütet, dann steigt ein Strom warmer und feuchter Luft in die Höhe, der oben in den kälteren Schichten kondensiert wird.
    Wir steuerten nach dieser Wolke, bis sie nach Sonnenuntergang verschwand. Der Wind war stetig, und mit festgezurrtem Steuerruder hielt die »Kon-Tiki« ihren Kurs selbst. So waren wir bei gutem Wetter schon oft übers Meer gesegelt. Die Ruderwache hatte den Auftrag, soviel als möglich Ausguck zu halten. So saß denn der Steuerposten die meiste Zeit auf einem blankgeschliffenen Brett in der Mastspitze und spähte nach allem, was auf Land deutete.
    Ohrenbetäubende Vogelschreie gellten über uns die ganze Nacht hindurch, und der Mond war fast voll.

7 Vor den Südseeinseln
    Land in Sicht. An Puka-Puka vorbei. Ein Festtag vor dem Angatauriff. An der Schwelle zum Himmelreich. Die ersten Eingeborenen. Neue Besatzung auf der »Kon-Tiki«. Knut auf Landurlaub. Gegen übermächtige Gewalten. Wieder auf See. In gefährlichem Fahrwasser. Von Takume nach Raroia. In den Hexenkessel! In der Gewalt der Brandung. Havarie. Als Schiffbrüchige auf einem Korallenriff.
    In der Nacht zum 30. Juli herrschte eine neue und eigentümliche Atmosphäre um die »Kon-Tiki«. Vielleicht gab uns der ohrenbetäubende Spektaktel der Seevögel die Gewißheit, daß etwas Neues bevorstand. Die vielstimmigen Vogelschreie muteten uns leidenschaftlich und erdgebunden an. Drei lange Monate hatte uns nur der Lärm des Meeres und das fühllose Kreischen unbeseelter Taue umgeben. Auch der Mond wirkte besonders groß und rund, wenn er die Wache in der Mastspitze umtanzte. In unserer Einbildung reflektierte er Palmenkronen und warmblütige Romantik. Über den kalten Fischen draußen auf dem Meer hatte er nicht so strahlend gelb geleuchtet.
    Schlag sechs kam Bengt von der Mastspitze, weckte Hermann und kroch in die Koje. Als Hermann auf den knirschenden und schwankenden Mast kletterte, begann der Tag gerade zu blauen. Zehn Minuten später kam er die Strickleiter herunter und zog mich am Bein.
    »Komm, schau dir deine Insel an!«
    Er strahlte über das ganze Gesicht. Ich fuhr in die Höhe, gefolgt von Bengt, der noch nicht richtig eingeschlafen war. Als dichter Klumpen hingen wir zuoberst im Mastkreuz. Es waren viele Vögel um uns, und ein schwacher, blauvioletter Schleier über den Himmel spiegelte sich im Wasser, eine letzte Erinnerung an die weichenden Schatten der Nacht. Über den Horizont im Osten zog sich ein rötlicher Schein. Gegen diesen langsam wachsenden Hintergrund hob sich im Südosten ein schwacher Schatten ab - wie ein blauer Bleistiftstrich, den Himmelssaum entlang.
    Land! Eine Insel! Wir schluckten sie begierig mit den Augen und schüttelten die anderen munter. Die taumelten schläfrig an Deck und stierten herum, als erwarteten sie, der Bug müsse jeden Augenblick auf Strand stoßen Schreiende Seevogel spannten eine Brücke über den Himmel auf die ferne Insel zu, die immer scharfer gegen den Horizont hervortrat. Der rote Hintergrund breitete sich aus und überzog sich mit goldenem Licht. Die Sonne kam mit dem Tag herauf.
    Unser erster Gedanke war, daß die Insel nicht dort lag, wo sie liegen sollte. Weil sich die Insel nicht bewegt haben konnte, so war es wohl das Floß, das die Strömung im Laufe der Nacht nach Norden abgetrieben hatte. Warfen wir einen Blick hinaus aufs Meer, so sahen wir rasch am Lauf der Wellen, daß wir im Dunkeln bereits alle Chancen verspielt hatten. So, wie wir jetzt lagen gestattete der Wind nicht mehr, dem Floß einen Kurs gegen die Insel aufzuzwingen. Das Meer um den Tuamotuarchipel ist reich an starken lokalen Strömungen. Sie sind ganz unberechenbar wenn sie gegen Land stoßen. Viele davon variieren auch in ihrer Richtung, je nachdem sie auf kräftige Gezeitenströmungen treffen, die über Riffe und Lagunen aus und ein fließen.
    Wir legten das Ruder um, wußten aber wohl, daß es nutzlos war. Um halb sieben Uhr ging die Sonne über dem Meer auf und stieg rasch in die Höhe, wie

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