Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
umbringen wollte, hätte er das sicher längst erledigt. Zum Beispiel unten am Teich, als er den Revolver in der Hand gehalten hatte. Die Dämmerung war noch nicht einmal angebrochen, aber das Licht hatte sich verändert. Was war hier eigentlich passiert? War eine Weiche anders geschaltet worden und hatte ihn auf ein Nebengleis gebracht, auf eine Strecke, wo Anhalten nicht möglich war?
Er stellte die Flasche auf den Boden. Er war allein mit einem verrückten Mörder, und deshalb mußte er bei klarem Verstand bleiben. Besonders klar war er allerdings nicht mehr, vielmehr kam er sich benebelt vor. Fragte sich ernsthaft, warum er sich diese verdammte Geisel an den Hals geladen hatte. Er wäre doch auch allein zurechtgekommen.
»Du bist also von einem Jungen gesehen worden«, sagte er langsam und starrte Errki an. Der schien zu schlafen.
»Von einem fetten Jungen«, murmelte Errki schließlich. »Von einem Zeppelin von Knaben mit Brüsten, so groß, wie die von meiner Mutter waren.« Er drehte sich um und musterte Morgan mit einem unergründlichen Blick. »Ihr Gehirn ist die Treppe runtergeflossen.«
»Halt die Fresse, das will ich nicht hören.« In seiner Stimme lag die Panik wie ein dunkles Dröhnen.
»Du hast Angst«, stellte Errki fest.
»Ich will dir bloß nicht zuhören. Du redest doch nur Schwachsinn! Sprich lieber mit deinen Stimmen, die verstehen dich besser.«
Langes Schweigen folgte. Nur leises Fliegenbrummen von der Fensterbank her war zu hören. Morgan überlegte, ob er sich wohl bei seiner Schwester in Oslo verstecken konnte. Die würde ihm die Ohren vollheulen, aber verpfeifen würde sie ihn nicht. Sie war ein hoffnungsloses Gackerhuhn; trotzdem, er war ihr kleiner Bruder. Er hatte eine Bank überfallen, aber er hatte keinen Menschen umgebracht, schon gar nicht eine alte Oma.
»Nein!« schrie Errki und sprang auf. Er lehnte sich ans Fenster und starrte hinaus.
»Was schreist du denn so rum? Pöbeln deine Stimmen dich an? Laß den Scheiß, davon werd ich nur müde. DA DRINNEN IST NIEMAND!«
Errki hielt sich die Ohren zu.
»Herrgott, was machst du für einen Wirbel!« Morgan faßte sich an die Nase. Die pochte immer ärger. Er hätte weinen mögen. Dieser Typ war doch knatschverrückt. Und vielleicht konnte er sich nicht einmal daran erinnern, daß er einen Menschen umgebracht hatte.
»Du«, sagte er heiser. »Vielleicht solltest du machen, daß du in die Anstalt zurückkommst. Oder was?« Seine Stimme klang klein und dünn.
Errki legte die Stirn an eine der morschen Fenstersprossen und spürte, wie ihm die duftende Hitze draußen in die Nase stieg. Im Zimmer lag eine wehe Stimmung. Die gefiel ihm und gefiel ihm auch wieder nicht. Sie erinnerte ihn an etwas. Unten im Keller war ein leises Murren zu hören.
»Das ist doch einfach lächerlich«, sagte Morgan gereizt. »Hier sitze ich mit amputierter Nase und einer Tasche voll Geld, und da stehst du, führst Selbstgespräche und hast einen Mord auf dem Gewissen. Und wir werden beide von der Polizei gesucht. Es ist nicht zu fassen!«
Er schloß die Augen und stieß ein unbeholfenes, schluchzendes Lachen aus.
»Mir ist es scheißegal«, sagte er dann. »Im Grunde ist mir scheißegal, was passiert. Sterben müssen wir ja doch alle. Und das können wir auch gleich hier erledigen, in dieser verstaubten Bruchbude.«
Er legte sich wieder hin. Hatte das Gefühl, sich langsam aufzulösen, etwas in ihm schien abzuheben und zu fliegen. Plötzlich war ihm alles seltsam gleichgültig. Vielleicht sickerte sein Verstand aus ihm heraus.
»Ich schlafe eine Runde.«
Errki stand noch immer am Fenster. Er versuchte, sich an ihr Kleid zu erinnern, stellte aber fest, daß er nicht mehr wußte, ob es rot mit grünen Karos oder grün mit roten Karos gewesen war. Er konnte es nicht mehr vor sich sehen. Aber er erinnerte sich an ihren Zopf. Und an ihre verbissene Miene, als sie Löwenzahn aus dem Gras gehackt hatte. Es war so einfach. Der Löwenzahn ruinierte ihren Rasen und mußte verschwinden. Und dann rief sie ihm mit verängstigter Stimme etwas zu.
»Halt die Fresse!« schrie er zitternd.
»Entschuldigung«, sagte Morgan müde. »Ich wollte nur mitteilen, daß es mir im Grunde scheißegal ist, was passiert.«
»Ich mache, was ich will. Du hast nicht über mich zu bestimmen«, schrie Errki, streckte den Arm aus dem Fenster und schwenkte drohend die Faust.
»Sag ich doch«, murmelte Morgan. Er drehte sich auf die Seite, wobei er beschützend die Hand vor seine
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