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Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Hand.
    »Jetzt komm schon. Ich will mehr!« Morgan streckte die Hand aus und wollte nach der Flasche greifen. Errki hielt sie fest.
    »Wer sich mit der Quelle streitet, wird verdursten«, sagte er tiefernst. Dann ließ er die Flasche los.
    Morgan trank zweimal. »Warum ist deine Mutter die Treppe hinuntergefallen? Erzähl mir davon. Wir können doch spielen, ich wäre dein Arzt. Ich bin ziemlich gut, wenn du mir eine Chance gibst. Na los, erzähl Onkel Morgan alles. Den kennst du doch. Erzähl mir alles, mein Schatz, dann kommt schon alles in Ordnung.«
    Er lachte glucksend. Im Grunde war er ziemlich betrunken.
    Errkis Hände machten sich nervös an den Beinen seiner schwarzen Hose zu schaffen. Er legte eine Hand auf den Revolver und merkte, daß sie dort zur Ruhe kam. Sie umschloß die Waffe wie ein Handschuh. Und das hatte einen Sinn, eine Bedeutung.
    »Sie hat genäht.«
    »War sie Schneiderin?«
    »Seidene Brautkleider. Anzüge und Kostüme. Oder die Kundinnen brachten alte Kleider, die aufgetrennt und umgenäht werden sollten. Das hat sie gerade gemacht. Ein altes Kleid aufgetrennt.«
    »Trink doch einen Schluck«, fiel Morgan ihm ins Wort. »Es ist nicht leicht, alte Erinnerungen aufzuwühlen.«
    Errki trank. Im Keller war es still. Der Staub hatte sich gesetzt, alles war grau. Für einen wilden Moment dachte er, sie seien vielleicht verschwunden. In der Stille wurde seine Stimme kristallklar. Seine eigene Stimme. Er plante seine Worte nicht, sie entstanden einfach so, nach und nach, und wenn er sie anzweifelte, wollten andere Worte sich herausdrängen. Eins ergab das andere, und er hatte nicht die Kraft, sie aufzuhalten.
    »Ich habe auf der Treppe gespielt«, sagte er leise. »Ich war acht Jahre alt.«
    Du hast nicht gespielt. Du hast ihr eine Falle gestellt. Unterschlag hier nicht die Tatsachen, wir waren dabei und haben alles gesehen. Der Mantel hat es gesehen, er hing im Flur.
    Errki stöhnte. Sein Zorn wuchs beständig. Oder seine Verzweiflung. Wie konnte er mit offenem Mund dasitzen und den ganzen Müll hinausströmen lassen? Krankheit, Tod und Elend, Schnecken, Würmer und Kröten. Wütend warf er den Kopf in den Nacken. Morgan hörte zu. Errki spürte, daß er zuhörte, auf ganz physische Weise, wie Haut an Haut, und er konnte es doch nicht ertragen, angefaßt zu werden. Nicht einmal von Sara mit der Welle. In Gedanken hörte er den schönen Harfenklang, der immer auf ihre Stimme folgte.
    »Warum auf der Treppe?« Morgan trank noch immer. Im Moment hatte er nichts anderes vor, als sich richtig vollaufen zu lassen. Ein kurzfristiges, aber schönes Ziel. »Ich meine, auf einer Treppe ist doch verdammt wenig Platz.«
    »Die Treppe«, sagte Errki schwerfällig. »Der Dachboden. Die Lampe unten im Flur war an. Ich konnte die Nähmaschine surren hören. Wie ein Uhrwerk. Ich habe auf der Treppe gespielt, weil ich in ihrer Nähe sein wollte.«
    »Damit ist die Bühne bereit«, erklärte Morgan. »Das Drama kann beginnen. Die Lampe brennt, die Nähmaschine surrt, Klein-Errki ist acht Jahre alt.«
    »Ich hatte im Keller eine alte Angelschnur gefunden und eine Seilbahn gebaut. Sie führte von der obersten Stufe beim Dachboden bis ins Erdgeschoß.«
    Morgan starrte ihn ungläubig an. »Du hast eine Scheißangelschnur gespannt?«
    »Ich hatte Löcher in leere Streichholzschachteln gebohrt, das waren die Waggons. Gefüllt mit Mandeln und Rosinen, die nach unten geschickt wurden. Das Telefon klingelte. Sie rief: Gehst du mal ran, Errki? Ich wollte das nicht, ich wollte spielen. Ich hatte gerade einen Waggon mit Mandeln beladen. Ich saß auf der Treppe und wartete. Sie kam zur Tür, machte einen Schritt, blieb in der Schnur hängen und stürzte nach unten. Sie war immer so still, aber dabei hat sie Krach gemacht. Sie polterte auf den Treppen, als hätte jemand ein Möbelstück runtergeschmissen.«
    Morgan schwieg. Seine Augen glänzten wie die eines Kindes, dem ein ziemlich gruseliges Märchen erzählt wird.
    »Ich saß auf der dritten Stufe, ganz dicht an der Wand. Sie polterte nach unten und blieb da liegen. Um das Geländer gekrümmt.«
    »Hat sie sich das Genick gebrochen?« Morgan flüsterte. »Du bist wirklich verdammt komisch. Plötzlich bist du ganz normal und redest wie alle anderen. Warum bist du auf einmal normal?«
    Errki schien zu erwachen und sah ihn an. »Erst werde ich angepöbelt, weil ich verrückt bin. Und jetzt muß ich mich dafür rechtfertigen, daß ich normal bin. Natürlich bin ich normal. Bist

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