Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
ihn, rieselten einfach so aus ihm heraus, ohne ihm Zeit zum Nachdenken zu lassen. Plötzlich sackte er zu Boden. Der Revolver rutschte zur Wand hinüber, er hörte den leisen Aufprall. Dann krümmte er sich, ähnlich wie bei einem Krampf, und versuchte, mit den Händen dagegenzuhalten. Alles sprudelte aus ihm heraus. Er roch sein eigenes verfaultes Fleisch, roch Abfallstoffe, Eiter und Galle. Kleine, blanke Blasen, die platzten, das Gurgeln weicher Organe, die zusammengepreßt wurden und aus ihm herausspritzten, Luft und Gas, die die seltsamsten Geräusche produzierten. Verzweifelt wälzte er sich auf dem Boden hin und her, schwamm in seinem eigenen Elend.
»Wirst du jetzt auch noch krank?« fragte Morgan erschrocken. »Das darfst du nicht. Du mußt Hilfe holen. Ich will lieber eine Runde einbuchten, als in diesem Drecksloch an Wundstarrkrampf zu krepieren. Du weißt den Weg. Jetzt hol schon Leute, verdammt, damit wir hier wegkommen.«
Es gab keine Antwort. Errki stöhnte, warf sich von einer Seite auf die andere und trampelte gegen die Dielen. Es klang, als werde er verprügelt, als reiße und zerre jemand an ihm und schleudere ihn umher. Nach einer Weile fing er an zu husten und sich zu räuspern, vielleicht würgte oder kotzte er auch, vielleicht tat er beides. Morgan schauderte es. Herrgott, was für ein Irrenhaus! Etwas in diesem Zimmer hatte sie beide vergiftet. Ein Fluch vielleicht, der in den Ritzen zwischen den Brettern hing und langsam hervorquoll, seit sie dieses Haus betreten hatten. Es schien eine Ewigkeit herzusein, daß er in der Bank gestanden und den Revolver gehoben hatte. Die Polizei mußte doch Leute losgeschickt, sie mußten doch das Auto gefunden haben. Kapiert haben, daß er sich hier oben im Wald versteckte. Was für ein Mist, daß er den Wagen mit der Plane abgedeckt hatte. Endlich wurde es auf dem Boden still. Errki rang um Atem. Morgan schaute zum Revolver hinüber.
»Das war ja ganz schön heftig«, sagte er leise. »Was war denn los?«
Errki sammelte seinen Körper wieder ein, Stück für Stück, für Morgan sah es so aus, als suche er einen verlorenen Gegenstand. Die schwarzen Haare hingen ihm in die Augen. Wie ein Blinder tastete er den Boden ab.
»Hast du Hallus?« fragte Morgan unsicher. »Kannst du mir nicht den Whisky bringen?«
Errki setzte sich auf. Beugte sich vor und preßte die Hände auf den Bauch; seine Augen waren geschlossen, jeder einzelne Muskel in seinem Leib war gespannt wie eine Stahlfeder. Speichel tropfte ihm aufs Kinn.
»Nerv nicht«, röchelte er.
»Ich wollte nicht nerven. Aber ich friere so schrecklich. Ich dachte, ich könnte mir vielleicht deine Jacke leihen. Ist noch Whisky da? Kannst du den holen, wenn du fertig bist – mit deinem Anfall?«
»Nicht nerven, hab ich gesagt!«
Seine Polyesterhose knisterte leise, als er endlich aufstand. Gebückt wie ein Greis ging er durch das Zimmer, die Hände noch auf den Bauch gepreßt. Er hob den Revolver auf, dann ging er in die Kammer. Die Jacke lag auf dem Bett, zum Kissen zusammengedrückt. Er griff danach und hielt sich mit der anderen Hand den Bauch. Dann schwankte er langsam zu Morgan zurück. Die unverschlossene Flasche stand neben dem Radio. Er trank ausgiebig, während er zum See hinunter blickte. Sein Körper brauchte Zeit, um wieder zur Ruhe zu kommen. Diesmal war er ohne die geringste Vorwarnung geplatzt. Das Leben, das vor Errki lag, wirkte nicht gerade verlockend. Er starrte den dunklen Wasserspiegel an. Nicht die kleinste Welle. Der See war tot. Alles war tot. Eigentlich will dich niemand. Sie wollen nur das, was du geben kannst. Morgan will die Jacke und den Whisky. Hast du etwas zu geben, Errki?
Er hielt die Jacke in der Hand und trank Whisky. Er konnte Morgan mit der Jacke zudecken. Eine freundliche Geste. Die Frage war nur, spielte das eine Rolle? Konnte das das Leben lebenswert machen?
»Laß mir noch was übrig!«
Errki zuckte mit den Schultern. »Du hast doch nur ein gemäßigtes Alkoholproblem«, sagte er geistesabwesend.
»Meine Nase tut so schrecklich weh.«
»Zusammen plündern ist eine Freude. Zusammen sterben ist ein Fest«, sagte Errki und reichte ihm die Flasche. Morgan trank, bis ihm die Tränen kamen. Als er die Flasche wieder wegstellte, schnappte er nach Luft. Er zog die Knie an und legte sich auf die Seite, als wolle er Errki die Möglichkeit geben, sich auf die Sofakante zu setzen. Entweder setzte Errki sich, oder er schoß. Aber Morgan fühlte sich nicht mehr bedroht,
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