Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
der Stirn bis zum Hinterkopf, um ihm die Festigkeit der neuen Pracht zu demonstrieren. Die Mähne hatte ihr neue Würde gegeben. Ihr Gesichtsausdruck war anders, sie hielt sich gerader, sie hatte eine Haltung wie eine Königin.
Die Versuchung war zu groß. Er warf sich über den Tisch. Mit seiner schmutzigen Faust packte er die hellen Strohspitzen und zog daran. Sie gingen nicht ab, es war unbegreiflich.
»Idiot!« schrie seine Mutter und sprang auf. »Weißt du überhaupt, was das kostet?«
»Du hast doch gesagt, sie sitzen fest.«
»Aber du mußt trotzdem versuchen, alles kaputtzumachen, ja?«
»Wer hat das gemacht?« fragte er.
»Der Friseur.«
»Was hat es gekostet?« fragte er mürrisch.
»Das wüßtest du wohl gern. Aber das geht dich nichts an. Du verdienst schließlich nichts.«
»Nein. Nicht einmal Taschengeld.«
»Warum sollte ich dir Taschengeld geben? Du tust doch nie was für mich.«
»Du fragst mich ja auch nie.«
»Kannst du denn irgendwas?« Sie beugte sich über den Tisch und starrte ihn herausfordernd an. »Kannst du irgendwas, Kannick?«
Er kratzte mit dem Fingernagel an einem eingetrockneten Marmeladenrest auf der Tischdecke herum. Ihm fiel nichts ein, rein gar nichts. Er konnte kaum lesen und war ein mieser Ballspieler. Dann wußte er doch etwas. Darts. Doch das erwähnte er nicht.
Später stand sie unter der Dusche, die neuen Haare hatte sie unter einer Plastikhaube verstaut. Heimlich schaute er in ihre Handtasche. Er wußte, daß sie dort kein Geld aufbewahrte. Sie war nicht so dumm wie Margunn, sie hatte das Geld mit unter die Dusche genommen. Aber er fand die Quittung des Frisiersalons. Er konnte die erwachsene Schrift nur mit Mühe entziffern, aber dieses eine Mal strengte er sich wirklich an. Haarmontage, Gießen von Nägeln, zweitausenddreihundert Kronen. Er hätte sich fast verschluckt. Er watschelte ins Badezimmer und riß den Duschvorhang beiseite.
»Das hätte für ein Fahrrad gereicht«, schrie er. »Alle haben ein Fahrrad!«
Die Mutter riß ihm den Vorhang aus der Hand und setzte ihre Dusche fort.
»Haare wachsen von selber«, brüllte Kannick, »und zwar gratis.«
»Misch dich nicht in meine Angelegenheiten«, rief sie. »Du brauchst einen Vater, der mit dir fertig wird. Und wenn ich wie eine Hexe aussehe, finde ich keinen anständigen Mann. Ich muß mir ein bißchen Mühe geben. Ich tu es doch dir zuliebe.«
Durch den hellen Vorhang sah er die Umrisse ihres Körpers. Es würde ihm keine große Mühe machen, sie dort herauszuholen, wenn er das wirklich wollte. Er konnte zum Waschbecken gehen und den Kaltwasserhahn aufdrehen, dann würde sie sich unter dem kochendheißen Duschwasser verbrühen. Aber er hatte keine Lust dazu. Es war ein alter Trick.
Er war plötzlich so müde. Er legte die Stirn auf die Knie und seufzte. Hunger hatte er auch. Die anderen hatten seine Schokolade aufgegessen. Und doch wanderten seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit. Einmal war er als erster nach Hause gekommen und hatte eine Packung Abflußreiniger aus dem Besenschrank genommen. Es war eine plötzliche Idee. Er wußte genau, wie das Mittel wirkte. Kleine runde, blauweiße Körner wurden in den Abfluß gegeben, wenn der verstopft war, und das war er dauernd. Wenn sie mit Wasser in Berührung kamen, entwickelten die Körner ein übelriechendes Gas. Er holte sich einen leeren Milchkarton, spülte ihn gut aus und trocknete ihn sorgfältig. Dann füllte er den unteren Teil mit Körnchen und lief ins Badezimmer. Hob den Gitterrost, der über dem Abfluß der Dusche lag. Legte den Karton mit den Körnchen hinein und bedeckte ihn mit dem Rost. Das Geheul der Mutter, als sie unter der Dusche stand, würde er nie vergessen. Sie drehte das warme Wasser auf, und sofort breitete sich das giftige Gas in der Duschkabine aus. Die Mutter kam herausgestürzt, hustete und würgte und bedachte ihn mit den schlimmsten Schimpfwörtern, die sie kannte. Sie kannte übrigens viele. Er hatte seine eigene Gaskammer konstruiert.
Morgan riß ihn aus seinen Gedanken.
»Was hast du sonst noch im Koffer?« fragte er. »Hast du zum Beispiel etwas, das man zum Verbinden nehmen kann?«
Kannick überlegte. Er hatte neun Pfeile unterschiedlicher Machart. Eine Ersatzsehne. Eine Tüte Nockenfestiger samt Klebstoff. Sehnenwachs. Eine Kneifzange. Und einen Putzlappen fürs Visier.
»Einen Putzlappen«, sagte er.
»Ist der groß genug für meine Nase?«
Kannick schaute zu dem verfärbten Stummel
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