Kopernikus 2
Ruhig erinnert er sich daran, wie er sie beim Vorrücken nacheinander erschossen hat. Nur einer konnte sich rechtzeitig umdrehen, um es zu sehen.
„Nur Ruhe, das schaffen Sie schon.“ Der Arzt weiß nicht, was er sonst sagen soll. Er weiß nicht, was passiert ist. „Ist ja alles gut“, sagt der Arzt.
„Warum friere ich dann so? Ich friere immer noch.“ Er berührt seinen Bauch. Die Wolle der Decke, mit der er zugedeckt ist, ist naß und klebrig. Jemand legt noch eine Decke über ihn. „Das habe ich nicht gewußt, daß es so kalt sein würde.“
„Sie müssen am Leben bleiben, damit Sie Ihren Orden bekommen. Sie bekommen sicherlich einen Orden. Sie haben die ganzen Stunden allein durchgehalten. Alle tot außer Ihnen, und Sie verwundet. Sie müssen den Heckenschützen im gleichen Augenblick erwischt haben, als er Sie …“ Der Arzt spricht nicht weiter. Es wird ihm klar, was er beinahe gesagt hätte.
„Als er mich erwischt hat.“ Jordan lacht. „Stimmt, genauso ist es passiert. Ich habe ihn im gleichen Augenblick erwischt, in dem er mich erwischt hat. Aber das geht schon in Ordnung, weil es ganz leicht ist zu sterben, viel leichter, als zu leben. Man macht nur die Augen zu und entspannt sich. Nur, warum muß es so weh tun? Das habe ich nicht gewußt, daß es so weh tun würde.“
„Reißen Sie sich zusammen, wir sind fast da. Geben Sie noch nicht auf.“
„Aber angeblich soll das Sterben so leicht sein.“
Das Geräusch der Explosion wird durch die dazwischenstehenden Gebäude gedämpft. Wieder Terroristen. Vielleicht wieder eine Fahrradbombe. Es ist der Polizei unmöglich, sie von der Stadt fernzuhalten. Sirenen beginnen zu heulen, und bald röhren Militärfahrzeuge vorbei. Sie schleudern Motorroller und Fahrräder aus ihrem Weg. Ich gehe weiter, nur kurzfristig abgelenkt. Die Bombenanschläge sind jetzt fast alltäglich. Heute jedoch bin ich auch noch mit anderem beschäftigt. Gestern abend habe ich einen Brief geschrieben, und heute habe ich ihn eingeworfen. Die Entscheidung ist gefallen. Es ist ein seltsames Gefühl, daß ich jetzt keine Bindungen mehr in den Staaten habe, aber es ist ein herrliches Gefühl. An der Ecke sehe ich Polizisten mit weißen Handschuhen, die die Menge zurückdrängen, sie zurückschieben. In dem Cafe sind die Scheiben herausgeflogen, und die Korbstühle auf dem Gehsteig sind umgefallen. Ein Tisch steht noch aufrecht, darauf stehen zwei halbgefüllte Gläser mit Wein. Ich suche sie in der Menge, kann aber ihr Gesicht nicht finden. Die Polizisten decken Körper mit Decken zu, trösten die Verwundeten, während sie darauf warten, daß die Rettungswagen kommen. Die Toten kümmern sie nicht. Sie liegt zusammengekauert an der Wand des Cafes, wo sie die Wucht der Explosion hingeschleudert hat. Der größte Teil ihres Gesichts ist weg, aber ich erkenne sie an ihren Händen. Mein Ring ist noch an ihrem Finger. Ein Polizist versucht, mich zurückzuhalten, aber ich dränge mich an ihm vorbei, und er läßt mich durch. Ich knie mich vor sie und fühle, wie ich innerlich einfriere. Ich lege meine Hand auf ihren Bauch. Er ist noch warm, aber darin ist es still. Noch jemand anders ist gestorben und wird bald so kalt wie der harte Bürgersteig sein, so kalt, wie es in mir ist.
„So leicht.“ Jordan fühlt sich schläfrig. Die Nässe saugt sich durch die zweite Decke und färbt sie rot. Er erinnert sich daran, wie der harte Mündungsfeuerdämpfer gegen seinen Bauch gedrückt hat und wie er dann ungeschickt mit seinem Daumen den Abzug durchgezogen hat.
„Sie kommen schon wieder in Ordnung.“
Er schließt die Augen. Die Turbine heult. Der Rotor zerteilt die Luft. Wind pfeift an der Kabine vorbei und weht durch die offene Tür. Der Schmerz steigt und drängt alles andere aus seinem Bewußtsein, aber bald ist er verschwunden.
Die Flüstervögel kreisen langsam über dem Moor, rufen einander in ihren rauhen Pfiffen zu und erinnern sich an die vergangene Schlacht. Beim Abschlachten der Zoanier konnten sie nicht helfen, da sie in den engen Häusern der Festung hilflos waren; diese Aufgabe blieb den Brüdern überlassen. Das Moor war mit den brennenden Leichen der Drachen übersät.
Die Brüder stampften durch den Schlamm. Jemand sang ein altes Lied, das sie alle noch kannten. Die Worte klingen, als seien sie am falschen Ort, in der falschen Zeit. Ein zweiter Bruder schloß sich dem Lied an, sang mit. Bald sangen sie alle. Die Festung erhob sich turmhoch und bedrohlich über
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