Kopernikus 4
nüchternen Worte sind gewechselt. Was bleibt, ist eine erschreckende Kommunikationslosigkeit. Ich frage mich insgeheim, ob das schon immer so gewesen ist, doch irgendein verborgenes Erinnerungszentrum sagt mir, daß es einst anders war; früher einmal glaubten wir, alle Worte der Welt würden nicht ausreichen, um uns unsere Gefühle für einander auszudrücken, doch der lange Aufenthalt im grauen Land hat mich stumm gemacht, die unberührte, zeitlose Stille macht Worte überflüssig, doch das hat Helen nie begriffen, auch Peter nicht; sie haben das hier herrschende Schweigen buchstäblich „totgeredet“, sind den flüsternden, kaum wahrnehmbaren mentalen Lockrufen mit unwissender Ignoranz begegnet, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, welches Tor sie ihrem Geist für immer verschlossen haben. Nur ich bin nun in der Lage, die unsichtbare Pforte zu überschreiten, um den Preis, daß ich die Kontakte zur Realität verloren habe und nun haltlos und unaufhaltsam hinübergleite, mich weiter und weiter von den Menschen und ihren Belangen entferne und nicht weiß, ob mir jemals wieder eine Reintegration gelingen wird.
Als ich mich schließlich zum Gehen bereitmache und mich dem Ausgang zuwende, gestatte ich mir einen letzten Blick in ihre Augen, doch das Feuer ist erloschen, sie kann meinem Blick nicht lange standhalten und schlägt die Augen nieder, und so gehe ich stumm, ohne ein letztes Wort des Abschiedes; die letzten, hauchzarten Bande der Wirklichkeit zerreißend, lasse ich die Welt hinter mir, bereit, mich gänzlich jenem farblosen, bleichen Reich der Phantasie hinzugeben, aufzugehen in seinen grauen Gefilden …
Staub wird aufgewirbelt, bildet verspielte, komplexe Formen, die in der absoluten Windstille nur langsam zu Boden sinken, Staub, Dunst, der seit Ewigkeiten reglos lag, ein kaum wahrnehmbarer Nebel kräuselt sich um meine Stiefel, es ist wie ein Abstieg in eine archaische, archetypische Vergangenheit, in die Urzeit des Menschengeschlechts. Ja, so könnte sich das Pleistozän wohl dem Auge eines imaginären Besuchers dargeboten haben, mit einem Unterschied: Hier mangelt es an Leben; während dieses sich in grauer Vorzeit aus Staub und Asche gebildet hat, ist es hier bereits wieder zu Staub und Stein erstarrt, ist bereits wieder von der Bühne des Schicksals verschwunden.
Unnatürliche Gesteinsformationen bedecken den Boden und erschweren die Fortbewegung. Aufblickend mache ich die Feststellung, daß die Gebäude der Station sich in dichtem Nebel verloren haben, ein merkwürdiges Phänomen, denn von dort oben hat man immer einen klaren und guten Ausblick über die Weiten der felsumrandeten Ebene; seltsam, nun festzustellen, daß es sich umgekehrt nicht so verhält, doch diese Tatsache dokumentiert nur allzu deutlich, daß die Brücken der Wirklichkeit hinter mir in namenlose Abgründe gestürzt sind. Ich habe keine andere Wahl, als den Weg nach vorn zu beschreiten.
Allmählich geht der schmale Fußpfad in einen sanft geneigten Weg über, der in die Weite der Ebene hinabführt. Bäume und Sträucher ragen zu beiden Seiten des Weges auf, auch diesbezüglich hat mich mein Blick von meinem damaligen Aussichtsposten getäuscht, von wo aus das Tal immer leblos und ohne Vegetation schien.
Alles hier jedoch, Bäume und Gestrüpp, selbst das spärlich wachsende Gras, ist von einem feinen, hellen Staub überzogen, die Flora dieses phantastischen Waldes ist bedeckt von einem Leichentuch, das den Eindruck erweckt, die Zeit selbst sei hier kondensiert, um in Form dieses grau-weißen Niederschlages Wald und Flur vor ihrem steten, unaufhaltsamen Verrinnen zu bewahren, um sie so vor Alter und Verfall zu schützen, aber gerade das ist es, was den Zauber dieser Einöde ausmacht, die Aura der Zeitlosigkeit, der ewigen ungestörten Ruhe, die allgegenwärtig ist und dem erschöpften und gequälten Geist Ruhe und Frieden verheißt.
Es ist sehr still um mich her, kein Laut unterbricht das Schweigen. Obwohl es, wie ich nun mit eigenen Augen sehen kann, eine Vegetation gibt, scheinen doch keine Tiere in diesem Märchenwald heimisch zu sein. Ich halte es dennoch für nicht ganz und gar unmöglich, im weiteren Verlauf meiner Wanderung auch noch auf eine Fauna zu stoßen, die, ebenfalls mit jahrtausendealtem Staub überzogen, nicht im unerbittlichen Lauf der Zeit verblaßt ist, sondern noch heute durch die Gegend des grauen Landes streift, blasphemische Erinnerungen, unberührt von den Händen des Todes und ihm doch bereits im
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